Peter Fuchs
Die magische Welt der Beratung
Das Beratungsgeschäft, worunter hier institutionalisierte bzw. organisierte Beratungskontexte verstanden sein sollen, hat seit einiger Zeit starken Diffamierungen standzuhalten, die sich im wesentlichen darauf beziehen, daß es ein Geschäft auf unsicherer Grundlage ist. Einerseits profitiert es von der gesellschaftlich zirkulierenden Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in allen Fragen des Lebens. Kaum einer will beratungsfrei das ihm zugewiesene Schicksal schultern. Und wenn er es doch unternähme, wäre er im Fall seines Scheiterns auch noch haftbar, weil er sich nicht hat beraten lassen. Andererseits ist Beratung eingebunden in ebendiese Umstände. Sie kann in ernsthaften Angelegenheiten nicht mehr beraten, ohne beraten zu werden. Dabei kann sie sich vor allem der Wissenschaft bedienen, die sich darin gefällt, Berater zu beraten; aber seit einiger Zeit wird ihr gerade von dort (insbesondere von der Systemtheorie her, mit der sich Beratungsunternehmen nicht selten zu schmücken pflegen) mitgeteilt, daß die Sache der Beratung möglicherweise ein profitabler Luftzirkus sei, gar eine Narretei, die eine ganz andere Funktion bediene, als sie selbst meint.[1]
Ihr wird außerdem angesonnen, Kommunikationssperren und Verschweigemuster in die Beratungskommunikation einbauen zu müssen und vielleicht gerade deshalb unter Kontingenz- und Alternativitätsdruck zu geraten, weil man die Berater je nachdem wählen könnte, was sie verschweigen und was nicht.[2] Das Beratungsgeschäft muß sich damit arrangieren, daß es nicht tun kann, was es tut. Es hat also hinreichend Schweigepotential vorzuhalten.[3] Es muß ferner zur Kenntnis nehmen, daß es in einer hoch temporalisierten Gesellschaft vielleicht nur die segensreiche Funktion der Entschleunigung erfüllt, darin vergleichbar der Bürokratie und der Demokratie.[4] Wenn an all diesen Einschätzungen etwas Wahres ist, dann ist es wie ein Wunder, daß Beratung immer noch funktioniert. Fast möchte man meinen: Sie habe etwas Magisches. Und genau das ist es, worum die folgenden Überlegungen kreisen.
I
Zunächst muß festgehalten werden, daß die Annahme, mit Beratung sei etwas Magisches verknüpft, sie sei eine Art magischer Praxis, nicht automatisch schon bedeutet, daß sie in Gefahr gerät, als ein anachronistisches Phänomen eingeschätzt zu werden. Magie ist nicht einfach etwas Überholtes oder so etwas wie ein Relikt aus finsteren unaufgeklärten Zeiten. Sie ist auf vielen gesellschaftlichen Ebenen präsent, sei es, daß Formen wie die rites des passages, Initiationsverfahren, Abwehrparaphernalia, fattura und contra-fattura, weiße und schwarze magische Kulte, Heilsteine und Bachblütentherapie etc. weltweit noch gepflegt bzw. revitalisiert werden und sich soziologisch beobachten lassen[5], sei es, daß auf gehobenem intellektuellen und künstlerischen Niveau der Entzauberung durch die Moderne eine Wiederverzauberung folgt.[6] Vieles, was man als esoterische und okkultistische Bewegungen auffaßt, ist unter dem Titel ‚Magie‘ gut aufgehoben – für ‚aufgeklärte‘ Beobachter, die die Welt hinterweltslos denken und deshalb von magie-inspirierten Beobachtern als kognitiv armselige Leute hingestellt werden, die nichts als die Schulweisheit kennen.[7]
Klar dürfte aber sein, daß die Magie, in welchen Formen sie auch immer auftritt und aus welchen historisch kontingenten Quellen sie sich speisen mag, daran erkannt werden kann, daß sie Hinter- und Nebenwelten postuliert, in denen Wesen hausen, die der Durchschnittswahrnehmung entgehen.[8] Diese Wesen und Gewalten können aus der Transzendenz in die Immanenz hineinwirken und müssen sich dabei nicht um immanente Kausalbewandtnisse kümmern. Magie ist in dieser Hinsicht religionsnah, sie muß Immanenz und Transzendenz unterscheiden. Das Besondere an der Magie ist, daß sich die Mächte des Jenseits im Diesseits bezwingen, daß sie sich so manipulieren lassen, daß ihre supra-kausalen, ihre übernatürlichen Fähigkeiten immanent ausgenutzt werden können, vorausgesetzt, jemand beherrscht die Technik, die dazu erforderlich ist.. Mit Hilfe der Magie kann man Zustände der aktuellen, diesseitigen Welt zielgerichtet verändern, wozu es dann Zeichen, also auch Kommunikation braucht, anderenfalls die Soziologie nichts von ihr wüßte.[9]
In stärker theoretisch ausgerichteter Formulierung: Magie operiert auf dem Schema Immanenz/Transzendenz, baut aber zwischen den Schemaseiten (unter den Schied hindurch, wenn man so will) Tunnel ein, durch die in jeder Aktualität Kausalbeziehungen zwischen hüben und drüben laufen können – im Sinne eines aktuellen, aber verborgenen ‚Unten-durch-Grenzverkehrs‘.[10] Magische Praxis wäre demnach: immanente Untertunnelungsarbeit im Schema Immanenz/Transzendenz. Sie disponiert über eine Doppelrealität (Diesseits/Jenseits) und bedient sich dabei kausaler Beeinflussungsmöglichkeiten, die dem Alltagsmenschen nicht zu Gebote stehen. Das Management dieser Doppelrealität und ihrer Untertunnelung macht es notwendig, über Geheimnisse zu verfügen, die Eingeweihte kennen, die deshalb die Nicht-Eingeweihten zu Opfern ihrer Manipulationen machen können.
Seit Sigmund Freud ist es leicht, dieses Verschweigen in die Notwendigkeit zu transformieren, sich das Verschweigen selbst verschweigen zu müssen.[11] Hinter dem Glauben an das Magische steckt eine im Kern animistische Technik, durch die sich die magische Weltbemächtigungspraxis eine Welt aus „einem Punkte“ heraus konstruiert.[12] Der Gedanke (die Psyche) will „Allmacht“ [13]: Die Dinge sollen so sein, wie es das „Seelenleben“ will.[14] Von der Form her gesehen, wird freilich durch dieses Konzept eine weitere Hinterwelt errichtet, die erklären soll, warum jemand Hinter- und Vorderwelten unterscheidet, und es ist ein immerhin amüsanter Gedanke (und einer, der Theoretiker nachdenklich stimmen sollte, die mit der Manifest/Latent-Differenz arbeiten), daß sich zumindest die Psychoanalyse selbst in das magische Spiel verstrickt, das sie beschreibt.[15] Sie hat viele Merkmale, die zumindest magie-analog erscheinen.
Wie man sich aber auch zu dieser Re-description der magischen Praxis durch Freud stellen mag, festhalten läßt sich der Gesichtspunkt, daß es in ihr um Weltbemächtigung geht und die Welt selbst das Ganze, das Übergreifende ist, in dem Immanenz und Transzendenz zusammen die Einheit dieser Welt so ausmachen, daß man in ihr Operationen starten kann, die berechenbare Effekte haben. Magie ist immer auch der Anspruch auf Intervention, darin dann vergleichbar solchen Traditionen, die die Heilung der Welt aus der scheinbar so anderen Quelle der Vernunft, der Rationalität und (wie man heute sagen müßte) der Konsensüberschätzung heraus unternehmen.
Das macht es möglich, die magische wie die rationale Bezwingungspraxis als Formen aufzufassen, die im Übergang von der stratifizierten zur funktional differenzierten Gesellschaft eine eigentümliche Modernität entfalten, und zwar genau deswegen, weil die neue Differenzierungstypik sowohl die Einheit der Weltbeobachtung von einer Idee her, von einem Repräsentationszentrum aus, radikal zerbricht als auch Ansprüche auf kontrollierbare Intervention nachhaltig sabotiert.[16] Diese Gesellschaft ruiniert nämlich die Ständeordnung, indem sie sich ‚zerlegt‘ in autonome Funktionssysteme, die (jedes für sich) die Welt totalisieren, so daß die eine Welt ausfällt.[17] Es bleibt nur noch das ‚Stottern‘ im Sinne eines fortwährend repetierten ‚und-und-und ...‘, das sich nicht mehr zur einen Welt, zu einer universitas rerum, zu einer chain of being zusammenschweißen läßt.[18] Die Welt wird Anhäufung von Welten, oder in frühromantischer Diktion: Fragment von Fragmenten.[19] Das kann als Krisenlage beobachtet werden unter dem Titel horror plenitudinis[20] und führt dazu, daß sich im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert so etwas wie ein Epochenschwellenbewußtsein unter jungen Intellektuellen einstellt.[21]
Im 20. Jahrhundert kann dieser Befund unter den Begriff der Polykontexturalität gefaßt werden.[22] Mit ihm geht man davon aus, daß die Welt der Moderne kein „universales Seinsmilieu“ mehr darstellt.[23] Sie ist, wie es scheint, unheilbar zersplittert und bietet keinen Ort mehr an, von dem man aus ohne Widerstreit und mit der Garantie auf Gültigkeit die Welt in toto beobachten könnte. In diesem Zusammenhang beginnen die Ideologien und die Fundamentalismen zu florieren, werden auf allen denkbaren Gebieten Orientierungsgewißheiten gesucht und angeboten oder wird unter den Auspizien der Postmoderne der unentwirrbar-rhizomatische Sinn- und Differenzendschungel beklagt, der nur noch partiell und individuell (be)glückende Sinnmöglichkeiten offeriert, aber von nirgends aus quasi archimedisch observiert werden kann.[24] Polykontexturalität ist der Name für die Unbezwingbarkeit einer dissoluten oder dissonanten Welt und als Begriff die Möglichkeit, das Problem zu formulieren, das unter anderem das Phänomen der Beratung generiert: als Krisenbewältigungsanstrengung, die quer durch die Gesellschaft läuft. Es ist pikant in unserem Kontext, daß auch Magie allem Herkommen nach auf Krisenlagen bezogen ist.
II
Polykontexturalität besagt, daß Beobachtungsprozesse immer gegenbeobachtet werden können, daß es also nicht mehr möglich ist (es sei denn: um den Preis nur mühsam zu stabilisierender Dogmatik), von unstrittigen Dingen und Sachlagen zu reden. Das heißt nicht, daß die Wirklichkeit vollkommen mit arbiträren Prozessen durchzogen sei[25], sondern nur, daß das Verhältnis der Beobachter zu dieser Wirklichkeit (in die Beobachter eingeschlossen sind) vom Indikativ in den Konjunktiv gewechselt ist.[26] Unter solchen Voraussetzungen läßt sich erwarten, daß ein außerordentlicher Aufwand getrieben werden muß, wenn – sozusagen gegen Polykontexturalität – Beobachtungen als gültige Beobachtungen stabilisiert und dabei von Kontingenz abgesehen werden soll. Dies würde ja heißen, daß ein inviolate level aufzubauen wäre, der im Grunde eine andere Beobachtungen bindende Sicht auf die Welt gestattet. Sie müßte (zumindest dem Anspruch nach und in wesentlichen Aspekten) kontingenzfest sein.
Tatsächlich sind Phänomene, die sich resistent gegenüber abweichenden Beobachtungen verhalten, bekannt. Die funktionale Differenzierung selbst richtet solche Resistenzen zwar nicht für die Gesellschaft ein, aber in den Funktionssystemen, deren Codes die Kommunikationen in ihrem Einzugsbereich vollkommen unstrittig ordnen.[27] Organisationen, die mit der funktionalen Differenzierung rein quantitativ so zunehmen, daß man heute von einer Organisationsgesellschaft reden könnte, blockieren ebenfalls Alternativität und verhindern (etwa durch Hierarchie, die intern nicht bestritten werden kann), daß sie von Moment zu Moment als austauschbar oder anders möglich begriffen werden können. Und es liegt auf der Hand, daß sich das Beratungsphänomen in diese erweiterbare Äquivalenzreihe einordnen läßt: Jeder, der berät oder sich beraten läßt, müßte die Idee als vollkommen abwegig behandeln, daß die soziale/psychische Welt durch und durch kontingent beobachtbar ist. Ausgeschlossen ist die Wonderworld von Alice.[28]
Die stattdessen vorausgesetzte Welt ist nicht indifferent gegenüber Handlungen[29], von denen aus sich die Zukunft besser oder schlechter darstellen wird, und diese Handlungen sind frei wählbar, insofern der Beratene sich für oder gegen das, wozu ihm geraten wird, enscheiden kann. Beratung muß – so gesehen – einen okkulten Freiheitsbegriff pflegen, der an dem alten Modell des liberum arbitrium orientiert ist, der Wahlfreiheit von Individuen, denen durch die Sinnwelt Alternativen offeriert werden, die in gewisser Weise im Gleichgewicht sind für den, der zwischen den Alternativenseiten zu wählen hat. Dabei ist die Sinnwelt, die dies leistet, zeitlich so konstant, daß die Effekte der Selektionen durch Beratene/Berater noch geprüft werden können, und: Die Verhältnisse der Beratungswelt sind so geartet, daß sie dem Grunde nach als steigerungsfähig gelten.
Auf einen Punkt gebracht: Die Welt der Beratung ist Volitionswelt[30] und daher auch (unter welchen Verkleidungen auch immer): klassische Handlungswelt.[31] Da es hier nicht um eine philosophische, sondern um eine soziologische Fragestellung geht, können wir von einer fungierenden Ontologie oder von einem cognized model sprechen.[32] Es wäre ebenfalls möglich (obwohl Beratung hier nicht aufgefaßt ist als ein gesellschaftsweit operierendes, geschlossenes System, sondern eher als anwählbare Kommunikationsform), den Begriff Kontingenzformel heranzuziehen, womit dann gemeint ist, daß Beratungskommunikation strikt Kommunikation über die Unmöglichkeit von Volition ausschließt und deshalb ihre Sinnwelt (ihre fungierende Ontologie) weder deterministisch noch fatalistisch gestalten kann.[33] Sie operiert aus einem Voluntarismus heraus, dessen Herkunft aus der Metaphysik ebenso im Dunkeln gehalten wird (und gar nicht thematisch werden könnte) wie die Steigerungsfähigkeit der Sinnwelt durch kausalistische (ratioide) Intervention. Die Bezwingbarkeit von krisenhaften Lagen in der Welt ist die conditio sine qua non der Beratung, und deswegen erweist sie sich mehr und mehr als attraktiv im Moment, in dem Polykontexturalität zu einer der zentralen Folgen funktionaler Differenzierung wird und es der Beratung dennoch gelingt, ihr Weltbild sozial plausibel zu halten.
Man könnte auch sagen, daß diese Idee der Bezwingbarkeit verflochten ist mit dem paradoxen Zwang zur Freiheit. Im Geschiebe der Welt muß es Freiheits- und also Manipulationsmöglichkeiten geben, tief wirksame Abkopplungen von durchgreifender (determinierender) Kausalität. In der Magie sind es die Mächte und Gewalten der Transzendenz, die immanent eingesetzt werden, um immanente Kausalität zu brechen. In der Beratung wird stattdessen ein Menschenbild gepflegt, das zutiefst konservativ ist. Einerseits sind Menschen freiheitsfähige Subjekte, die über Kausalitäten nicht-deterministisch disponieren können; anderseits liegen (wie das Wort ‚Subjekt‘ schon sagt) diese Subjekte der ganzen Welt zugrunde.[34] Auch wenn Beratung sich auf soziale Systeme bezieht (etwa auf Organisationen), adressiert sie letztlich appellationsfähige Individuen, die über (vernunft-gestützte) Entscheidungsmöglichkeiten verfügen. Sie wird darin bestätigt durch den Umstand, daß es diese Vorstellung ist, die zumindest in den westlich geprägten Domänen der Gesellschaft alltäglich immerzu in Anspruch genommen wird.[35]
Man könnte allerdings auch sagen, daß Volition nur eine mögliche Beschreibung für den Umstand ist, daß alles, was sinnförmig geschieht, nachträglich beobachtet werden kann als Ausblendungsleistung, als Ignoranz gegenüber dem, was auch hätte geschehen können, also als Informationsraffung.[36] „Wollen heißt, nicht alles bedenken.“, formuliert Paul Valery, als er sich darüber wundert, daß das Leben sich durch Unabhängigkeit definieren läßt.[37] Daß etwas gewollt ist, hinter einer Handlung ein Wille steckt, etwas durch jemand, der wollen kann, entschieden wird, das sind konventionelle Ausdrücke dafür, daß sich in der Welt Determinationslücken finden, in die hinein Beratene entscheiden können, wofür sie dann Freiheit und Willen benötigen.[38] Diese Lücken ermöglichen den Kontingenzimport, den die Beratung braucht, um beraten zu können. Sie ist darauf angewiesen, daß es Konjunktive nicht nur gibt als Strukturmoment der Sprache, sondern als Eigenschaft der Welt.
Die Ereignisse müssen anders ausfallen können, als sie ausfielen, wenn nur geschähe, was geschieht – von dieser Position aus kann sich Beratung mühelos einordnen in die zunehmende Kontingenz der Weltbeobachtung, die mit Polykontexturalität bezeichnet wird. Die Ereignisse dürfen aber nicht beliebig anders ausfallen können, als sie ausfielen, wenn nur geschähe, was geschieht – sonst wäre die Welt chaotisch und Beratung vollkommen unplausibel. Eine Gratwanderung ist damit vorgezeichnet, die zwischen zuwenig Kontingenz und zuviel Kontingenz verläuft. Es bedarf offenbar magisch anmutender Operationen, um den Absturz zur einen oder anderen Seite hin zu vermeiden.
Nun ist aber das, was gerade diskutiert wurde, alles andere als die plakatierfähige Philosophie von Beratung. Sie muß auf der Basis operieren, daß Kontexte in der Welt steigerungsfähig oder korrigierbar sind. Das ist, wenn man berät oder sich beraten läßt, so klar, daß das Aufbieten von Gegenevidenzen keine Effekte haben kann.[39] Es ist nicht nötig, daß Beratung mitteilt, welche Welt sie voraussetzt. Es genügt, daß die Operation, durch die sie sich vollzieht, ebendiese Welt inszeniert.
III
Die Form der Beratung beruht zunächst auf der alten Unterscheidung von Rat und Tat.[40] Diese Unterscheidung ist kurios verschachtelt, insofern das Ratgeben selbst als Tat (als Handlung) aufgefaßt werden muß, wohingegen die Tat, die dem Rat folgt (ob für oder gegen ihn), in der Gegenwart aufgeschoben wird. Das Beraten bezieht sich demnach auf Handlungen, die noch nicht stattgefunden haben. Die Zukunft wird in der Aktualität als Register einer Mehrheit möglicher Alternativen vorgeführt. Die Erzeugung dieses Registers nimmt Zeit in Anspruch und schiebt die Tat auf – durch die Modalisierung zukünftiger Gegenwarten.
Die Referenz auf Zukunft öffnet nämlich Kontingenzspielräume, indem sie fiktive Ereignisreihen aufmarschieren läßt, die die Folgen zukünftig möglicher Taten in Argumente ummünzen, die die Auswahl unter den Alternativen sozusagen aus der Zukunft her konditionieren. Daran wird noch einmal deutlich, wie wichtig für Beratung die in ihre Welt eingebauten Möglichkeiten sind, obwohl diese Möglichkeiten in keiner Aktualität zuhanden sind. Deshalb müssen sie in die Zukunft (die aber ebenfalls nicht erreichbar ist) projiziert werden. Die Zukunft fungiert als gegenwärtiger Projektionsschirm, der die Gegenwart mit Kontingenz ‚verzaubert‘, wiewohl keine Gegenwart kontingent ist, sondern nur (und alternativenfrei) als das geschieht, was geschieht.
Darin liegt eine so hohe Unwahrscheinlichkeit, daß besondere Maßnahmen der sozialen Plausibilisierung zu erwarten sind. Sie werden ebenfalls in der Zeitdimension eingespielt und zwar als: Modalisierung der Vergangenheit. Das Vergangene wird aufgefaßt als eine Menge jetzt nicht mehr erreichbarer Tatsachen und Ereignisse, die zum Zeitpunkt, als sie zustandekamen, anders hätten ablaufen können, so daß die Präsenz, die aktuelle Realität, ebenfalls eine andere wäre, wenn nicht geschehen wäre, was geschehen ist. Mit diesem Trick wird die Gegenwart kontingent beobachtbar. Die Vergangenheit wird von der Gegenwart her erinnert als das, was geschah, und als das, was hätte stattdessen geschehen können, und wiederum: obwohl nie etwas stattdessen stattgefunden hat, weil die vergangene Gegenwart so möglichkeitsfrei ist war, wie es jede Gegenwart ist, die gerade durch Ausschluß von Kontingenz in actu ihr ‚Selbstbeweis‘ ist.[41]
Der Vergleich zwischen dem, was die Vergangenheit war und was sie hätte sein können, muß durch jemanden geleistet werden, der die Faktenreihe und die Möglichkeitsreihe erinnern kann und sich insbesondere daran erinnert, daß manches gut ging, manches schlecht, und daß manches hätte gut oder schlecht gehen können, wenn zuvor andere Ereignisse gewesen wären als die tatsächlichen. Die Vergangenheit läßt es zu, Schlüsse auf die Zukunft zu ziehen, wenn der vergleichende Beobachter aus dem Vergleich Erfahrungen (bzw. Wissen) gewinnt. Diese Schlüsse führen die aktuelle Projektion von möglichen Ereignissen in der Gegenwart eng. Der Spielraum der Mutmaßungen wird auf diese Weise de-arbitrarisiert.[42]
Die Form der Beratung beruht demnach auf einer mehrfachen Modalisierung: Die Zukunft wird beobachtet als ‚Raum‘, in dem Möglichkeiten hausen, aus denen in der künftigen Gegenwart durch Selektion (durch Taten) jeweils eine wirkliche Wirklichkeit entstehen wird. Die Vergangenheit wird beobachtet als ‚Raum‘, in dem Möglichkeiten gehaust haben, aus denen durch Selektion (durch Taten) jeweils eine wirkliche Wirklichkeit entstanden ist. Die Gegenwart entzieht sich diesen Modalisierungen, sie ist die der Beratung, also des Aufschubs. In gewisser Weise verschwindet sie im aristotelischen ‚Nun‘, der zeitlichen Null der Präsenz. Sie ist dasjenige, was sich nicht modalisieren läßt und deswegen nur später (wenn sie Vergangenheit ist) modalisiert werden kann: Der Erfolg der Beratung wird gemessen an der zukünftigen Vergangenheit: Der Klient hat oder hat nicht getan, was ihm als Möglichkeit (für seine damalige Zukunft) offeriert wurde. Beratung (und auch das ist einem magischen Vorgang vergleichbar) reduziert – sobald sie stattgefunden hat – die Welt des Beratenen auf zwei Möglichkeiten: Er ist dem Rat gefolgt oder nicht, wobei gilt, daß das Nicht-Folgen auch dann attribuiert werden kann, wenn der Beratene die Alternativen, die ihm angesonnen wurden, verwirft und ganz anders handelt. Das Anders-Handeln ist immer: nicht auf den Rat hören. Das ist ein Resultat dessen, daß die Optionen, die durch Beratung nahegelegt werden, präferentiell strukturiert sind. Beratung wäre nicht Beratung, wenn sie keine Argumente beibrächte für das Vorziehen (und das Negativ-Besetzen) bestimmter Wahlmöglichkeiten.
IV
Beratung hat sich ihre fungierende Ontologie durch ein zeitlich komplexes Beobachtungsspiel eingerichtet. Innerhalb dieses Spiels kann sie an Polykontexturalität nicht scheitern. Sie bietet ja Ordnungsmöglichkeiten an im Rahmen einer Welt, in der kontingente, unbeherrschbare Beobachtung bezwingbar erscheint. Sie greift dabei (und das erlaubt die Analogie zur magischen Praxis) auf okkulte Instanzen zu, die etwas können können müssen: nämlich Handeln unter Freiheitsbedingungen. Aber wer oder was ist das?
Zieht man zur Beantwortung dieser Frage die Systemtheorie heran[43], dann ist von vornherein klar, daß das, was als Handlung beobachtet wird, deswegen Handlung ist, weil es sozial so beobachtet wird.[44] Handlungen werden nicht konzipiert als naturale Momente der Welt, sondern als Konstruktionen der Kommunikation.[45] Ebendies bezeichnet man, wenn man sagt, daß die Systemtheorie die Einheit des Sozialen von Handlung auf Kommunikation umgestellt hat, wobei zugleich behauptet wird, daß selbst das Mitteilungshandeln nicht irgendwie ontologisch vorliegt, sondern von Kommunikation (im Sinne einer Selbstsimplifikation, eines Ausflaggens) errechnet wird.[46] Von dieser Position aus war es überhaupt möglich die Beratungswelt als fungierende Ontologie zu kennzeichnen, in der Handlungen und Volition als Tatsachen auftauchen.
Nimmt man jedoch Handlung und Handelnde als Konstrukte der Kommunikation, dann stößt man auf das Problem, wer überhaupt als Handelnder oder Handelndes in Frage kommt. Das müßten dann abggrenzbare Einheiten sein, die intern eine Kopie ihrer Innen/Außen-Differenz anfertigen können oder denen es unterstellt werden kann, daß die Innen/Außen-Differenz intern noch einmal beobachtet wird. Erforderlich sind adressable Systeme.[47] Kürzt man diese Annahme auf das, was hier notwendig ist, läuft sie darauf hinaus, daß nur solche Systeme als Akteure adressabel sind, die über eine ‚Stelle‘ verfügen, durch die sie repräsentiert sind und an die man sich wenden kann. Daraus folgt, daß die Beratung mit ihrer fungierenden Ontologie beileibe nicht alles beraten kann, sondern nur selbst-repräsentable Systeme.[48] Eine andere Formulierung dafür wäre, daß die Beratung sich nur auf Systeme beziehen könnte, die zurückbeobachten und als Zurückbeobachter identifizierbar sind. Oder noch anders: Beraten werden können nur Beobachter, die sich verzeichnen lassen als bestimmte (gleichsam postalisch erreichbare) Adressaten.[49]
Damit wird zunächst viel mehr ausgeschlossen, als man auf Anhieb denken könnte. Nicht adressabel ist offenkundig die Gesellschaft. Man kann ihr nichts mitteilen (ihr zum Beispiel einen Brief schreiben), und sie selbst (als dieses SIE) kann ebenfalls nicht mitteilen (also eine Botschaft abschicken, die mit ihr (mit diesem Namen) als Absender signiert ist.[50] Man kann die Gesellschaft auch nicht über etwas informieren oder durch sie (wieder durch SIE) über etwas informiert werden. Ebensowenig macht es Sinn, zu erwarten, daß man von der Gesellschaft verstanden würde oder sie (SIE) verstehen könnte. Und schließlich: Die Gesellschaft tut nichts, ihr (IHR) kann kein Handeln zugerechnet, sie kann zu keinem bestimmten Handeln überredet, ihr kann kein bestimmtes Handeln ausgeredet werden. Oder kurz: Die Gesellschaft ist ein Unjekt par excellence.
Diese Nicht-Erreichbarkeit gilt nicht minder für die Funktionssysteme. Auch sie sind keine Einheiten, die intern Repräsentanzen ihrer selbst einrichten. Man kann weder an die Politik schreiben noch an die Wirtschaft, weder an die Wissenschaft noch an die Religion, weder an die Erziehung noch an die Kunst, weder an den Sport noch an das Recht, und aus diesem Grund kann man Systeme dieses Typs auch nicht beraten.[51] Sie sind nicht renitent und auch nicht resistent gegen Beratung. Sie können in deren Welt nicht vorkommen, weil der Punkt nicht auffindbar ist, von dem aus zurechenbare Entscheidungen und Beobachtungen ausgehen. Es ist ja genau die Ebene der Gesellschaft und ihrer primären Subsysteme, auf der die Form von Polykontexturalität so entsteht, daß sie jedes Steigerungsansinnen (das ja Mutmaßungen über besser und schlechter vorsehen müßte, mithin archimedische Beobachtungspositionen) wie automatisch unterläuft.
Als prinzipiell beratbar verbleiben dann Leute und Organisationen – die Leute, insofern sie schon via Namen als Einheiten der Eigen-Repräsentanz aufgefaßt werden müssen, und die Organisationen, insofern sie – und seien es noch so flache – Hierarchien realisieren, deren Spitze die Einheit des Systems hinreichend stark symbolisiert.[52] In diesen Fällen kann auf Handeln zugerechnet werden, weil die Repräsentanz des Systems im System als ‚Ort‘ genommen wird, an dem die Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstreferenz intern traktabel ist. Das ist die Voraussetzung dafür, jene Determinationslücken oder Freiheitsmöglichkeiten plausibel zu machen, auf die Beratung in ihrer fungierenden Ontologie angewiesen ist. Damit läßt sich auch die Fülle der Beratungen locker auf einer Linie anordnen, die den je primären Bezug (Leute oder Familien oder Organisationen) unterscheidet und – darauf bezogen – ihre Beratungsressourcen aufbaut.
Nun scheint dieses Bild nicht übel zu sein. Daß die Gesellschaft sich nicht beraten läßt, kann man eigentlich verschmerzen. Sie hat ja nicht einmal ein Konto, von dem aus sie die Beratung honorieren könnte. Und daß sich die Funktionssysteme mit Beratung nicht erreichen lassen, muß auch nicht sonderlich aufregen, solange die Leute und die Organisationen verbleiben. Aber wie wäre es, wenn sich auch hierin eine seltsame Täuschung aufdecken ließe und es eigentlich immer noch nicht klar wäre, wer denn beraten wird, wenn beraten wird, auch dann nicht, wenn man Leute und Organisationen vor Augen hat?
V
Handeln (im Sinne der Möglichkeit des Ausnutzens von Freiheitsspielräumen) ist für die Volitionswelt der Beratung eine unabdingbare Voraussetzung. Sie kommt deswegen nicht um Adressaten herum, denen Handeln unterstellt werden kann, und findet dafür hinreichend Plausibilitäten, da Kommunikation ohne die laufende Konstruktion von Mitteilungshandelnden nicht auskäme, also die fungierende Ontologie der Beratung in einem fort zu bestätigen scheint. Eine wesentliche Einschränkung ergab sich allerdings aus dem Umstand, daß weder die Gesellschaft noch die Funktionssysteme als soziale Adressen in Frage kommen. Es bleiben nur Instanzen, die als Repräsentanzen ihrer selbst aufgefaßt werden können, Leute und Organisationen und, wie man wohl sagen müßte, Leute, die man als Mitglieder von Organisationen begreift.
Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß der Status dieser Instanzen ungeklärt ist, da sie (unter den Voraussetzungen dieser Theorie) nicht als volitionsfähige Subjekte konzipiert sind. Im Zentrum steht ja die Annahme, daß die Kommunikation die Handelnden konstruiert im Sinne einer Selbstsimplifikation und dabei auf die Binnenkontingenz der Einheiten setzen muß, die sie dafür in Anspruch nimmt. Personen etwa sind gerade nicht solche Instanzen, sondern kommunikative Strukturen, die weder über Leben noch über Bewußtsein verfügen.[53] Sie sind, wenn man den älteren Ausdruck aus der Rollentheorie heranzieht, gebündelte Verhaltenserwartungen, nicht: Menschen. Beratungskommunikation arbeitet wie jede Kommunikation auf der Basis dieser Strukturen ohne jede Art von Direktkontakt mit der psychophysischen Umwelt, an die sie strukturell gekoppelt ist, mit der sie also keine durchlaufenden Operationen (schon gar keine des kausalistischen Typs) unterhalten kann. Die Form der Beratung wirft, wenn man so will, die Positionen des Beraters und des Beratenen aus, so wie sie (abstrakter gesehen) unentwegt die Positionen Ego und Alter auswirft, aber diese Positionen sind nicht ‚Fleisch und Bein‘, sind nicht Hirne oder Bewußtseine, sondern zurechnungstechnisch gewonnene Arrangements, die im Fall der Beratung auf Volition hin stilisiert werden.[54]
Beratbar ist demnach niemand, der nicht so stilisiert werden kann. Auch wenn es etwa um Leute geht (und nicht nur um die Gesellschaft oder Funktionssysteme), fallen diejenigen heraus, die sich dieser Trimmung nicht anbequemen bzw. das komplizierte Zeitspiel der Beratung nicht spielen können, schwer geistig Behinderte beispielsweise, massiv psychiatrisch gestörte Menschen oder etwa Jugendliche, die sozial so belastet sind, daß ihr Verhalten als durch sie selbst nicht mehr korrigierbar, also als beratungsresistent begriffen werden muß.[55] Deshalb ließe sich durchaus sagen, daß die Beratung streng selektiv ist im Blick auf die Anforderungen, die an die Position des Beratenen gestellt werden, eine Härte, die unmittelbar Effekt ihrer fungierenden Ontologie ist.[56]
Zieht man an dieser Stelle die Theorieschraube an, würde man jedem zustimmen müssen, der den Einwand erhebt, daß doch jenseits der Kommunikation, jenseits ihrer Strukturen und Zurechnungsarrangements etwas sei, mit dem die Beratung strukturell gekoppelt ist, wenn nicht schon ein Subjekt, aber dann doch wenigstens wahrnehmende, kognitionsfähige, bewußte Einheiten, kurz: nicht-kommunikative Beobachter. Die Schwierigkeit ist – immer von der Theorie her gesehen, nicht von der Beratung aus, die diese Schwierigkeit camouflieren muß –, daß das Bewußtsein als ein autopoietisches System angesetzt wird, das in einer zeittechnisch hoch komplexen Weise Beobachtungen miteinander verkettet – unter Inanspruchnahme von Zeichen im Medium Sinn.[57] Die Eigentümlichkeit autopoietischer Systeme, die nicht minder für Bewußtsein gilt, ist, daß im Durchsatz der Beobachtungen, die das System ausmachen, kein ‚Ort‘ anfällt und sich stabilisieren läßt, an dem der Beobachter residiert. Der Beobachter ist immer imaginär, da er (ein ganz klassischer Topos), wenn er sich selbst beobachten will, von der Beobachtungsoperation Gebrauch machen muß, die er durchführt.[58]
Wenn wir absehen von den erheblichen Komplikationen, die dies für eine Theorie des Beobachters bedeutet, läßt sich festhalten, daß der Nicht-Ort (die U-topie) des Beobachters wie eine ‚Leerstelle‘ (wie ein unwritten cross im Kalkül Spencer-Browns) vorgestellt werden kann.[59] Sie ist aus eigener Kraft des Systems nicht besetzbar, das den Origo, den Ursprung seiner Beobachtungsoperationen nicht auffindet, weil es nur beobachtet.[60] Die Möglichkeiten, wie es sich selbst als Beobachter thematisieren, wie es entsprechende Strukturen, Wiedererkennbarkeiten, Reflexivitäten entwickeln kann, werden sozial ‚aufgespielt‘. Das ungeschriebene Kreuz der Beobachtung (der Beobachter) ist substituierbar, wenn durch Kommunikation das Ansinnen, als bestimmter Beobachter zu fungieren, laufend vorgebracht wird. Die ‚Leerstelle‘ wird zur ‚Lernstelle‘, die sich besetzen läßt durch das, was an Konzepten über Beobachter sozial ‚gelehrt‘ werden kann und in bestimmten historischen und kulturellen Situationen jeweils plausibel ist.[61] Will man den älteren Ausdruck, der Mensch habe eine zweite, eine soziokulturelle Geburt, vor der er gar nicht als Mensch geboren worden sei, präzisieren, so würde er bedeuten, daß erst mit der Installation einer sozialen Adresse, die Prozesse beginnen, durch die das Bewußtsein Angebote erhält, sich selbst als ein konturierter Beobachter zu beschreiben und nicht einfach nur als ein bloßes Fluten von aufblitzenden und wieder verschwindenden Beobachtungen[62], als hingegossenes Öl.[63]
Wenn der Beobachter imaginär ist und deswegen imaginiert werden kann (was hier heißt: daß sich das Bewußtsein der in einer jeweiligen Kultur und Zeit den sozial verfügbaren imagines agentes von Beobachtern anbequemt), dann ist klar, wie Beratung am unwritten cross des Beobachters parasitiert. Sie bedient sich, wenn man so sagen darf, des alteuropäischen Konzeptes jener Volitions- und Handlungswelt, die oben diskutiert wurde, und unterläuft damit das Problem der Polykontexturalität. Sie schneidet sich den Beobachter, den sie berät oder der beratbar ist, entsprechend ihrer fungierenden Ontologie zu, und sie muß sich selbst ebenso behandeln, damit ihr das Beraten als Handeln und mit dem Handeln auch dessen Effekte so zugerechnet werden können, daß sie sich finanziell verrechnen lassen. Auf diese Weise entgeht sie sogar der Schwierigkeit, daß Beratungserfolg/Mißerfolg eigentlich empirisch nicht meßbar ist, denn es gibt keinen Weg, zu zeigen, was geschehen wäre, wenn etwas nicht stattgefunden hätte.
Die Beratung projiziert Wesenheiten (freiheitsfähige, volitionsfähige Einheiten) in eine mit Freiheitslücken ausstaffierte Welt, also Mächte und Gewalten, die Kausalitäten überblicken und lancieren können, ohne daß man wissen könnte, wie sie dies machen, Mächte und Gewalten, die durch Beratung domestiziert werden. Sie speist sich offenkundig aus einer okkulten Metaphysik und parasitiert daran, daß diese Metaphysik sozial und bewußt konfirmiert wird. Der besondere Clou ist, daß sie – aber das wäre ein weiteres Thema – ihrerseits die Krisenlagen entwirft und bestätigt, die zu lösen sie antritt.
Was, wenn nicht das, ist magisch?
[1] Vgl. etwa Fuchs, P., Hofnarren und Organisationsberater, Zur Funktion der Narretei, des Hofnarrentums und der Organisationsberatung, in: Organisationsentwicklung, Jg. 21, H.3, 2002, S.4-15.
[2] Vgl. Luhmann, N., Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung, in: Roswita Königswieser/Christian Lutz (Hrsg.), Das systemisch evolutionäre Management: Der neue Horizont für Unternehmer, Wien 1990, S. 237-250 (auch in ders./Fuchs, P., Reden und Schweigen, Frankfurt a.M. 1989).
[3] Vgl. zum größeren theoretischen Rahmen Fuchs, P., Intervention und Erfahrung, Frankfurt a.M. 1999; ders., Und wer berät die Gesellschaft? Gesellschaftstheorie und Beratungsphänomen in soziologischer Sicht, in: Peter Fuchs/Eckart Pankoke, Beratungsgesellschaft (Hrsg. Gerhard Krems), Veröffentlichungen der Katholischen Akademie Schwerte 42, Schwerte 1994, S.67-77. Und zur Kommunikationsform dens., Die Form beratender Kommunikation, Zur Struktur einer kommunikativen Gattung, in: Fuchs/ Pankoke, a.a.O., S.13-25.
[4] Fuchs, P./Mahler, E., Form und Funktion von Beratung, in: Soziale Systeme 6, H.2, 2000, S.349-368.
[5] Siehe als soziologische Grundlagenwerke Vgl. Gennep, A. van, Les rites des passages, Paris 1909. Zur Theorie der Magie vgl. grundlegend Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie 1, Theorie der Magie, Soziale Morphologie, München 1974 (erster Teil: Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie). Nicht ohne Bedeutung ist, daß im 20. Jahrhundert Kant als Philosoph der Aufklärung zum Hintergrund einer voluntaristischen und psychosomatischen Magie werden kann, etwa bei Marcus, E., Theorie einer natürlichen Magie, Gegründet auf Kants Weltlehre, München 1924. Vgl. zur Modernität des Themas auch die Beiträge in: Ahrendt-Schulte, I. et al. (Hrsg.), Geschlecht, Magie und Hexenverfolgung, Bielefeld 2002. Siehe als ‚dichte‘ Untersuchung einer magischen Praxis Knoblauch, H., Die Welt der Wünschelrutengänger und Pendler, Erkundungen einer verborgenen Wirklichkeit, Frankfurt a.M. - New York 1991. Vgl. auch die Beiträge in Zingerle, A./Mongardini, C. (Hrsg.), Magie und Moderne, Berlin 1987. Vgl. ferner dazu, daß Goethe eine starke Witterung für die Modernität der Magie hatte, Binswanger, H.Ch., Geld und Magie, Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft anhand von Goethes Faust, Stuttgart 1985.
[6] Man denke etwa an die art magique, die von Harald Szeemann ausgerichtete Documenta 1982 (Individuelle Mythologien), die arte povera, die Anthropometrie, an Niki de Saint Phalle mit ihren Schießbildern oder an den Schamanen Joseph Beuys.
[7] Kurzum: Magie ist nicht einfach ein "Überlebsel" der Vergangenheit in der Moderne. Vgl. Tylor, E.B., Primitive Culture, London 1871, hier zit. nach Mauss, a.a.O., S.45.
[8] Solche Wesenheiten können auch Blut, Boden, Volk etc. sein und dann zu ideologisch-propagandistischen Zwecken ausgenutzt werden. Vgl. Vondung, K., Magie und Manipulation, Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971.
[9] Vgl. Knoblauch 1991, a.a.O., S.22ff.
[10] Vgl. zur Form dieser Untertunnelung Spencer-Brown, G., Laws of Form, London 1971(2), S.35; Junge, K., Medien als Selbstreferenzunterbrecher, in: Baecker, D. (Hrsg.), Kalkül der Form, Frankfurt a.M. 1993, S.112-151, S.128ff.
[11] Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken, in ders., Totem und Tabu, Frankfurt a.M. 1956.
[12] Freud, a.a.O., S.88.
[13] A.a.O., S.97.
[14] A.a.O., S.103.
[15] Für die Soziologie vgl. (mit der Einsicht, daß nichts dahintersteckt) Luhmann, N., Was ist der Fall, was steckt dahinter? Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, Zeitschrift für Soziologie 22, 1993, S. 245-260.
[16] Siehe etwa Siehe als Beispiele für die Analyse von Funktionssystemen Luhmann, N., Macht, Stuttgart 1975; ders., Funktion der Religion, Frankfurt a.M. 1977; ders./Schorr, E., Reflexionsprobleme im Erziehungssystem, Stuttgart 1979; ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.1988; ders., Liebe als Passion, Zur Codierung von Imtimität, Frankfurt 1982; ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990. Siehe ferner Mayntz, R., Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung, in: dies. et al., Differenzierung und Verselbstständigung: Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme, New York - Frankfurt a.M. 1988, S.11-44.
[17] Damit wird auch eine Pluralität von Ontologien möglich. Siehe etwa Rombach, H., Welt und Gegenwelt, Umdenken über die Wirklichkeit: Die philosophische Hermetik, Basel 1983. Siehe für die Konsequenzen, die die Auflösung der einen Welt auch für die Idee einer großen einheitlichen Welttheorie im Kontext hat, Rohrlich, F., Pluralistic Ontology and Theory Reduction in the Physical Sciences, in: Brit.J.Phil.Sci. 39, 1988, S.295-312. Bei Schelling findet sich schon der Hinweis, daß "Welt (nach dem altdeutschen Worte) eine Währung, eine Dauer, eine bestimmte Zeit bedeutet." Schelling, F.W.J., System der Weltalter, Münchener Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx (hrsg. und eingeleitet von Siegbert Peetz), Frankfurt a.M. 1998 (2. erw. Auflage), 4. Vorlesung, S.15. Es geht nicht mehr um ein Totum.
[18] Siehe zu diesem "und" als "schöpferische(m) Stottern" Deleuze, G., Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt a.M. 1993, S.67f. Es ist im übrigen nicht zufällig, daß die Systemtheorie (in ihrer bisherigen Form) dem "und so weiter" jedes Sinns zutraut, Weltgesellschaft als Begriff zu plausibilisieren. Siehe Stichweh, R., Zur Theorie der Weltgesellschaft, in: Soziale Systeme, Zeitschrift für soziologische Theorie, H1. 1995, S.29-45.
[19] Siehe zum romantischen Fragmentarismus Neumann, G., Ideenparadiese, Untersuchungen zur Aphoristik von Lichtenberg, Novalis, Friedrich Schlegel und Goethe, München 1976; Mennemeier, F., Fragment und Ironie beim jungen Friedrich Schlegel, Versuch der Konstruktion einer nicht geschriebenen Theorie, in: Peter, K. (Hrsg.), Romantikforschung seit 1945, Königstein/Ts. 1980, S.229-250. Vgl. ferner Ostermann, E., Der Begriff des Fragments als Leitmetapher der ästhetischen Moderne, in: Behler, E. et al. (Hrsg.), Athenäum, Jahrbuch für Romantik, Jg.1. 1991, Paderborn - Wien - München - Zürich 1991, S.189-205; Fuchs, P., Die Form romantischer Kommunikation, in: Ernst Behler et.al. (Hrsg.), Athenäum, Jahrbuch für Romantik, Jg.3, Paderborn, München, Wien, Zürich 1993, S.199-222.
[20] Vgl. zum horror plenitudinis als Ausdruck der Kommunikationskrise im Übergang zur funktionalen Differenzierung (insbesondere Frühromantik) Frühwald, W., Die Idee kultureller Nationenbildung und die Entstehung der Literatursprache in Deutschland, in: Dann, O. (Hrsg.), Nationalismus in vorindustrieller Zeit, München 1986, S.129-141, hier S.130ff.
[21] Vgl. Kluckhohn, P. (Hrsg.), Die Idee des Volkes im Schrifttum der deutschen Bewegung von Möser und Herder bis Grimm, Berlin 1934, S.9f.
[22] Siehe zum Begriff der Polykontexturalität Günther, G., Life as Poly-Contexturality, in: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd .II, Hamburg 1979, S. 283-306.
[23] Siehe nur zu dieser Formulierung Merleau-Ponty, M., Die Prosa der Welt, München 1993, S.151.
[24] Auch nicht von der Systemtheorie her, die im Rückschluß auf sich selbst den Befund, den sie erhebt, auf sich selbst beziehen muß.
[25] Passend dazu Woody Allens: „Ich mag die Wirklichkeit auch nicht, aber es ist der einzige Ort, wo man ein anständiges Steak bekommt.“
[26] Unübertrefflich: „Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt ... , dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Musil, R., Der Mann ohne Eigenschaften ( von Adolf Frisé besorgte, neu durchgesehene und verbesserte) Ausgabe Hamburg 1978, Bd.1, S.16.
[27] Genau betrachtet, schaffen sie das durch eine geniale Tautologie. Was dazugehört, gehört dazu, was nicht das nicht, und die Entscheidung fällt nicht per Abstimmung oder Diskussion, sie ist der schiere Anschluß. Ein interessanter Fall ist das Sportsystem, das sich durch die Gewinnen/Verlieren-Codierung eine gegen Kontingenz stabile Geschichte verschafft. Siehe dazu grundlegend Bette, K.-H., Systemtheorie und Sport, Frankfurt a.M. 1999.
[28] "Würde der Zinnober bald rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene tierische Gestalt verändert werden, am längsten Tage bald das Land mit Früchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein, so könnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekommen, oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald jenem Dinge beigeleget, oder eben daßelbe Ding bald so, bald anders benannt, ohne das hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind, herrschete, so könnte keine empirische Synthesis der Reproduktion stattfinden." Kant, I., Kritik der reinen Vernunft, A 100, hier zit. nach Söffler, D., Auf dem Weg zu Kants Theorie der Zeit, Frankfurt - Berlin - Bern - New York - Paris - Wien 1994, S.248.
[29] Sie ist also nicht Natur im Sinne von Schelling, F.W.J., Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, in: ders., Schriften von 1799-1801, Darmstadt 1982, S.309.
[30] Siehe zum Begriff der Volition und seiner seltsamen Stellung zur Systemtheorie Ort, N. Volition – zu einem nicht-empirischen operativen Zeichenbegriff, in: Jahraus, O./Ort, N., Theorie – Prozess – Selbstreferenz, Systemtheorie und transdisziplinäre Theoriebildung, Konstanz 2003, S. 261-280.
[31] Schon das läßt darüber staunen, wie Berater (wenn es nicht um Bratpfannen oder Waschbrettbäuche geht) von der soziologischen Systemtheorie fasziniert sein können. Denn daß es von dort keinen Weg zu Volition gibt, ist ausgemacht, so wenig wie Handlung, die ein Beobachter noch ‚monokausal‘ zu verstehen wären.
[32] "In ... auf Wittgenstein zurückgehender Formulierung kann man ... sagen: Ein System kann nur sehen, was es sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Es kann auch nicht sehen, daß es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann. Das verbirgt sich für das System 'hinter' dem Horizont, der für das System kein 'dahinter' hat. Das, was man 'cognized model' genannt hat, ist für das System absolute Realität. Es hat Seinsqualität, oder, logisch gesprochen: Einwertigkeit. Es ist, was es ist ..." Luhmann, N., Ökologische Kommunikation, Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einlassen?, Opladen 1986. S.52.
[33] Das bedeutet nicht, daß Beratung nicht einkalkulieren könnte, daß die Beratenen Zwängen unterliegen, die sie nicht kontrollieren könnten, aber sie kann nicht ohne schwerwiegende logische Probleme einrechnen, daß mangelnde Kontrolle nicht feststellbar wäre, aber ebendas setzt ja schon eine Welt mit eingebauten Kontroll- und deswegen Entscheidungsmöglichkeiten voraus.
[34] Die Subjekte werden damit ‚Hinterweltwesen‘ oder zu McGuffins.
[35] Eine Idee, die sich rekonstruieren läßt als Effekt dessen, daß Kommunikation unentwegt auf Mitteilende zurechnet, die intern einen Umgang mit sich selbst pflegen, der von außen nicht einsehbar ist und deshalb praktischerweise als Freiheit beschrieben werden kann.
[36] Vgl. zum Begriff Günther, Gotthard, Bewußtsein als Informationsraffer, in: Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaften 10, 1969, S.1-6. Daß man heute vor allem mitsehen kann, daß Bewußtseinsprozesse möglicherweise dann einsetzen, wenn schon geschehen ist, wovon sie meinen, daß sie es ausgelöst hätten, verdankt sich sowohl der Zeittheorie der Autopoiesis (Zentrum: différance) als auch der Neurophysiologie.
[37] Cahiers/Hefte, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1989, S.308.
[38] Deswegen fällt es manchem schwer, Organisation als Autopoiesis von Entscheidungen zu begreifen, die noch darüber entscheiden, wer als Entscheider gelten soll. Dazu ist keinerlei Willen erforderlich.
[39] Oder allenfalls als Ressource für weitere attraktive Sprachregelungen genutzt wird, die auf dem Beratungsmarkt Novitätenwert haben. Vgl. zu den Gegenevidenzen Fuchs, P., Intervention und Erfahrung, Frankfurt a.M. 1999a.
[40] Vgl. zur Tradition, die so unterscheidet, Fuchs, P./Mahler, E., Form und Funktion von Beratung, in: Soziale Systeme 6, H.2, 2000, S.349-368.
[41] Die Formulierung ist angelehnt an den Satz: "Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis." Novalis (Friedrich von Hardenberg), Fragmente und Studien, Die Christenheit oder Europa, hrsg. von Paschek, Carl, Stuttgart 1984, S.5.
[42] Wenn ein Berater gefragt wird, wie man etwa eine Organisation ans Lernen bringen kann, kann er kaum erwidern: Alle leitenden Mitarbeiter sollen sich Frikadellen ans Knie nageln. Wenn er es doch tut, ist er womöglich auf paradoxe Intervention aus, aber genau dies ist nicht: Beratung.
[43] Etwa das Kapitel über Kommunikation in Luhmann, N., Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984.
[44] Einschlägig ist hier auch die Unterscheidung von Erleben und Handeln, die im Prinzip besagt, daß Handeln dann vorliegt, wenn ein Ereignis dem System, Erleben dann, wenn ein Ereignis der Umwelt zugerechnet wird. Vgl. Luhmann, N., Erleben und Handeln, in: Hans Lenk (Hrsg.), Handlungstheorien interdisziplinär Bd. 2.1, München 1978, S. 235-253.
[45] Die empirischen Plausibilitäten für diesen Schritt liefert die Attributionstheorie. Vgl. grundlegend Jones, E.E./Nisbett, R.E., The Actor and the Observer: Divergent Perceptions of the Causes o f Behavior, in: Jones, E.E. et al., Attribution: Perceiving the Causes of Behavior, Morristown N.J., 1971, S.79-94.
[46] Vgl. Luhmann 1984, a.a.O., S.226.
[47] Vgl. Fuchs, P., Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale Systeme, Jg.3, H1., 1997, S.57-79, ferner ders., Der Eigen-Sinn des Bewußtseins, Die Person, die Psyche, die Signatur, Bielefeld 2003.
[48] Selbst-repräsentable Systeme sind Systeme, die ein Element enthalten, das alle anderen Elemente des Systems vollständig spiegelt, also eine logische Unmöglichkeit. Siehe Royce, J., The World and the Individual, First Series, New York 1901 (1959). Vgl. auch einen Aufsatz von John C. Maraldo, der leider nur in japanischer Sprache erschienen ist (in: Shizuteru, U., Hrsg., Nishida Tetsugaku e no toi (Questioning Nishida´s Philosophy), Tokyo 1990, S.85-95) und deshalb von mir nach der englischen Manuskriptfassung zitiert wird: Maraldo, J., Self-Mirroring and Self-Awareness: Dedekind, Royce and Nishida.
[49] Auf das in dieser Formulierung verschwindende Problem komme ich zurücl.
[50] Das konnten Kaiser und Könige etc. tun, solange sie die Gesellschaft repräsentierten. Und auch dann, wie man seit Kafka weiß, ist es müßig, auf die kaiserliche Botschaft zu warten.
[51] Es ist also eine kleine Schwindelei dabei, wenn man von Politik- oder Wirtschaftsberatung etc. spricht.
[52] Als Kandidat für Beratung käme noch die Familie in Frage, wenn man sie organisationsnah konzipiert und in einem ‚Haushaltsvorstand‘ denjenigen sieht, der die Familie repräsentiert. Eigentlich wäre Familie nur beratbar, wenn sie – horribile dictu – streng hierarchisch wäre und einen intern hätte, der sie wie von einer Spitze aus zu spiegeln wüßte.
[53] Vgl. Luhmann, N., Die Form „Person“, in ders., Soziologische Aufklärung 6, Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995, S.142-168 (auch in: Soziale Welt 42, 1991, S.166-175); Fuchs, P., Der Eigen-Sinn des Bewußtseins, Die Person, die Psyche, die Signatur, Bielefeld 2003.
[54] Man kann sich diesen Sachverhalt verdeutlichen daran, daß offensichtlich niemand EGO sein kann ohne ALTER, niemand MANN ohne FRAU, niemand BERATER ohne jemanden, der der BERATENE ist. All dies sind keine Eigenschaften. Auch hier macht das Wort ‚SEIN‘ wenig Sinn. Niemand ist ein Anderer oder ein Ich etc.
[55] Typisch werden dann diejenigen beraten, die diese Menschen betreuen.
[56] Ebensowenig könnte eine Organisation ohne Binnenrepräsentanz beraten werden. Das könnten chaosnahe Organisationen sein, die Weisungsketten eindampfen und Spitzen löschen (manche Parteien scheinen sich in dieser Lage zu befinden) oder kafkaeske Verwaltungen mit zirkulären Verweisungsstrukturen. Wer einmal im Prager Hauptbahnhof versucht hat, eine komplizerte Ticket-Operation durchzuführen, wird schnell begreifen, daß Zuständigkeiten wie erodiert erscheinen. Dieses Beispiel habe ich von Marie-Christin Fuchs. Aber der Hinweis auf die Ausgangssituation der Köpenickiade mag ausreichen.
[57] Vgl. Fuchs, P., Die Form der autopoietischen Reproduktion am Beispiel von Kommunikation und Bewußtsein, in: Soziale Systeme 8, 2002, H.2, S.333-351; ders., Das psychische System und die Funktion des Bewußtseins, in: Oliver Jahraus/Nina Ort (Hrsg.), Theorie, Prozeß, Selbstreferenz, Systemtheorie und transdisziplinäre Theoriebildung, Konstanz 2003, S.25-47; ders., Die Signatur des Bewusstseins: Zur Erwirtschaftung von Eigen-Sinn in psychischen Systemen, in: Jörg Huber (Hrsg.), Person/Schauplatz, Zürich – Wien - New York 2003, S.123-135.
[58] Diese Überlegung kann man theoretisch anreichern mit der Formulierung, daß der Beobachter nie derselbe und dennoch derselbe ist. Vgl. etwa Glanville, R., The Same is Different, in: Zeleny, M. (Hrsg.), Autopoiesis: A Theory of Living Organization, New York – Oxford 1981, S. 252-262 (in deutscher Übersetzung verfügbar in: Glanville, R., Objekte [hrsg. und übersetzt von Dirk Baecker], Berlin 1988, S.61-78). Im übrigen muß die unmögliche Operation der Selbstbeobachtung nicht scheitern. "Aufgabe: Die Selbstanschauung 'Ich' ausführen. Auflösung: Man führt sie ohne weiteres aus." Chr.Fr. Krause, zit. nach Mach, E., Die Analyse der Empfindungen, Nachdruck der 9. Auflage 1991, Jena 1922, Darmstadt 1991, S.16, Anm. 2.
[59] Der ‚Geist‘ ist ist schon bei Aristoteles formlos, ein Ort der Formen. Siehe jedenfalls Aristoteles, Über die Seele, 429 a 15ff und 27ff. Zum einschlägigen Kalkül vgl. Spencer-Brown, G., Laws of Form, London 1971(2).
[60] Da ist also ein proton pseudos, die Ursprungslüge, durch die die "Inkonsistenz der symbolischenOrdnung" verborgen/verdeckt wird, Zizek, S., Die Metastasen des Geniessens, sechs erotisch-politische Versuche, Wien 1996, S.11.
[61] Daß Ich ein Anderer ist, wird entsprechend von Rimbaud bis Lacan bezeugt. Ich ist komplette Alterität. Das Problem formuliert bekanntlich auch Fichte, J. G., Sämtliche Werke (hrsg. von I.H. Fichte) Berlin 1845/46, Bd.1, S.277: "Hier erst wird der Sinn des Satzes: das Ich setzt sich selbst schlechthin, völlig klar. Es ist in demselben gar nicht die Rede von dem im wirklichen Bewußtsein gegebenen Ich, denn dieses ist nie schlechthin, sondern sein Zustand ist immer entweder unmittelbar oder mittelbar durch etwas außer dem Ich begründet; sondern von einer Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung notwendig zu Grunde gelegt werden muß, die aber für unser Bewußtsein unerreichbar ist ..."
[62] Das legt es nahe, den so stark psychoanalytisch konnotierten Begriff des Begehrens durch den der Adressabilität zu ersetzen. Vgl. Fuchs, P., Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale Systeme, Jg.3, H1., 1997, S.57-79.
[63] Siehe zu dieser Öl-Metapher Deleuze, G./Guattari, F., Tausend Plateaus, Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1997 (Mille plateaux Paris 1980), S.41. Daß sich die Ölmetapher im Kontext zumindest des neuronalen Systems schon früh findet, erkennt man an folgender Frage von Ritter, J.W., Fragmente aus dem Nachlaß eines jungen Physikers, Stuttgart 1946., S.50: "Sind die ätherischen Öle der Pflanzen wohl gleichsam flüssige Nerven und Hirne derselben?"