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Peter Fuchs

 

Die Form des Körpers

 

"'Die Seele' ohne den Körper brächte nur Kalauer hervor - und Theorien."

Paul Valéry

 

Der Körper des Menschen ist in gewisser Weise super-evident. In vielerlei Hinsichten hat man sich zwar an das Auflösungsvermögen der Wissenschaft gewöhnt, aber der Körper in seiner phänomenalen Ein- und Nachdrücklichkeit ist, so scheint es, nicht wegdiskutierbar.[1] Er ist zweifelsfrei, wie die Soziologie weiß, in seinen Erscheinungsformen sozial konditionierbar[2], aber als schiere Tatsache, als Faktum par excellence ist er die originäre Gegebenheit, die so etwas wie konditionierbaren Weltkontakt überhaupt erst ermöglicht.[3] Er war es, er ist es, er wird es sein. Die Frage ist nur, ob man mit dieser Behauptung über die Deskription dessen, was dem vorausgesetzten Körper sozial zustößt, welchen Zumutungen er ausgesetzt ist, wie er sich auf Akzeptanz hintrimmt, sehr weit hinauskommt. Deskription ist nicht Theorie. Sie ist der mitunter magere Effekt der Vorstellung, daß es etwas gebe (da draußen, dem Beobachter gegenüber) mit einem Sein, das sich manchmal schlecht, manchmal recht beschreiben ließe – zum Beispiel den Körper als etwas, das man zwar beobachten kann, das aber in gewissen Hinsichten jeder Beobachtung zuvor ist und deswegen auch einen seltsamen Primat hat gegenüber jeder möglichen Kognition.[4]

Die soziologische Systemtheorie muß jedoch auf Grund ihrer eigenen Prämissen in diesem Primat eine epistemologische Blockade vermuten. Diese Theorie setzt (wenn auch in raffiniert zirkulären Verquickungen) die Operation der Beobachtung primär an. Der Körper des Menschen ist deshalb für sie beobachteter Körper. Und die Operation der Beobachtung vollzieht sich sinnförmig.[5] Ein provokativer Ausdruck dafür ist: "Das Bewußtsein wohnt nicht im Körper, sondern der Körper wohnt im Bewußtsein."[6] Darüberhinaus ließe sich formulieren: Dieser Körper ist sozial designierter Körper, und er ist nichts jenseits der Designation. Oder besser: Ob er etwas ist, wenn er nicht beobachtet wird, ist schlicht unerheblich, weil ein Satz, der dies behauptet, nichts weiter ist als sinnförmige Beobachtung, nichts weiter als eine verweisende Selektion, absolut immanentes Moment, wie man auch sagen könnte, eines unabschließbaren Textes, der durch Sinnsysteme (psychisch und sozial) inszeniert wird.[7]

Der Körper des Menschen ‚ist‘ seine Beobachtung, und wenn jemand behauptet, er sei mehr als dies, hat er Recht und Unrecht zur gleichen Zeit – Recht insofern, als Beobachtung immer auch Informationsraffung ist, Reduktion des Wahrnehmbaren auf Unterscheidung und Bezeichnung[8]; Unrecht insofern, als beobachtende Systeme ausschließlich als informationsraffende, also beobachtende Systeme beobachtbar sind. Wer von der Beobachtung auf die andere Seite der Nichtbeobachtung will, müßte die Grenze zum Präsignikativen überschreiten[9], die Sinnform verlassen können, und das hieße, daß er – zurückkreuzend – nichts zu berichten hätte.[10] Der Körper ist insofern für Sinn-Systeme alles andere als super-evident.

Die folgenden Überlegungen stellen sich diesem Befund.

 

I

 

Der Körper des Menschen ist beobachteter Körper. Er ist schlicht nichts anderes als seine Beobachtung.[11] Wenn man das sagt, behauptet man, daß er eine bestimme Form hat, nämlich die einer operativ eingesetzten Bezeichnung, die kombiniert ist mit einer Unterscheidung. Der Körper läßt sich nicht nennen, ohne daß die Nennung selbst einen Unterschied etabliert zu anderen Markierungen, wobei seit Saussure gilt, daß jede Markierung das, wofür sie gehalten wird, nur ist in der Differenz zu anderen Bezeichnungen. Die Markierung, die das Spiel einer unendlichen Sinn-Differentialität eröffnet, wird durch die Bezeichnung erzeugt und ist zugleich der Effekt der Differenz, oder, wie man seit etlichen Dekaden sagen kann: der Effekt der différance.[12] Damit ist für soziologische Fragestellungen (unter Verzicht auf philosophische Abzweigmöglichkeiten) nur gesagt, daß jede Operation der Beobachtung, sei sie bewußt, sei sie sozial, die ‚Identität‘ dessen, was sie beobachtet, in der Form des Nachtrags, in der Form der Differenz von Identität und Differenz ermittelt, daß sie also nicht etwas aufgreifen kann, das ist, sondern nur anschließen kann an das, was sie selbst als gegeben konstruiert.

Daraus folgt, daß der Körper für soziale und bewußte Systeme gerade nicht ist, was er war und was er sein wird. Er ist stattdessen wie alle Ausdrücke, die bewußt und sozial fungieren, polyvalent. Er gleitet, wenn man so will, durch vielfältige Sinnzuweisungsmöglichkeiten, deren De-Arbitrarisierung nur im Kontext soziokultureller Evolution nachvollziehbar wird: als Einschränkung (bzw. Begünstigung) sozialer und dadurch auch bewußter Plausibilitäten.[13] Sogar die Rede von dem einen Körper, um nur ein Beispiel zu nennen, ist alles andere als ubiquitär überzeugend. Für das antike Griechenland war der Körper als sôma (Leichnam) ein Singular, der die Form der Seelenverlassenheit (des Ausfalls vitaler Dynamik) bezeichnete.[14] Ansonsten erscheint er als Einheit nur unter wechselnden, aspekt-orientierten Gesichtspunkten. Die Glieder des Körpers heißen gyîa, wenn es um die Bewegung geht, mélea in Hinsicht auf die Kraft. Démas ist eher das Wort für die Statur, chrós eine Bezeichnung, die sich auf den Rand des Körpers, auf seine Umhüllung bezieht.[15] Die Leib/Seele-Unterscheidung, die erst sehr viel später prominente Leitunterscheidung wird, ist noch nicht präsent, der Körper noch nicht als Organisation von Organen, also als Organismus, der in Juxtaposition zur Psyche steht, aufgefaßt. Der Körper des Menschen ist kein Totum, er ist Diversifikation.[16]

Erst auf langen Wegen wird das Schema Leib/Seele (Körper/Geist) so ausgearbeitet, daß die Schemaseiten je für sich eigentümliche Weltzustände bezeichnen, die zwar in schwieriger Komplizenschaft aufeinander bezogen sind, aber eben nicht dasselbe bedeuten. Die Behauptung der Differenz (bei zugleich bestehendem, sozusagen komplizierten Verhältnis) wirft bis heute die philosophische Frage nach der Einheit der Differenz (bzw. nach dem Zusammenspiel der Differenzseiten oder gar nach der Löschung der Differenz) auf. Soziologisch gesehen, mag die Semantik dieser Differenz sich gesteigerten Kontrollbedürfnissen unter Bedingungen hoher sozialer Komplexität verdanken: Nur ein Körper, der nicht Geist (heute: nicht Bewußtsein) ist, vollzieht die ‚höheren‘ Befehle, die sozial zurechenbar sind, also die Attribution von Verantwortlichkeiten für spezifisches Handeln ermöglichen.[17] Der Körper ist Vollzugsorgan einer höheren Instanz, eine Maschine, die allerdings, wie in der Neuzeit mehr und mehr thematisierbar, aus dem Ruder laufen kann, Eigen-Sinn entfaltet, die Bewußtsein und soziale Systeme zu sabotieren in der Lage ist, ja sogar (denkt man an das weite Feld systemischer Therapie) in der Form von Symptomen, die sie (irgendwie) zuwegebringt, Kommunikation und Bewußtsein zu umgehen scheint. Die Maschine ‚dämonisiert‘ sich, aber sie ist gleichwohl noch Maschine-im-Gegenüber der Seele, des Geistes, des Bewußtseins.

Man kann diese äußerst komplexe Entwicklung abkürzen, wenn man schlicht festhält, daß die Differenz Leib/Seele (Körper/Geist) zunächst auch von der soziologischen Systemtheorie aufgegriffen und behauptet wird.[18] Sie ist ja schon von ihrem Ausgangspunkt (man müßte formulieren: ihrem Ausgangs-Schied) her, der System/Umwelt-Differenz, so angelegt, daß die Bereiche Körper, psychisches System und Sozialsystem entlang dieser Schlüsselunterscheidung aufgeordnet werden. Sie sind situiert in einem Verhältnis der, wenn man so sagen darf, Umweltigkeit füreinander, wobei das Bewußtsein und das Soziale ausgezeichnet sind als Sinn-Systeme, die über die Operation der Beobachtung verfügen, wohingegen der Körper (als Umwelt beider Systeme) nicht eigentlich als System begriffen wird, sondern als eine Art hyperzyklischer ‚Verschmierung‘ verschiedener und verschieden wirkender Systeme. Der Körper ist das, worauf das Bewußtsein und das Sozialsystem referieren können, aber diese Referenz erreicht nicht den Körper, der nur als Zeichen, als unterschiedenes Sinnmoment bezeichnet wird.[19] So kann man zum Beispiel sagen, daß das Bewußtsein und soziale Systeme durch strukturelle Kopplung in ein Verhältnis wechselseitiger Irritationsmöglichkeiten gebracht werden, insofern sie beide beobachtende, Sinn in Anspruch nehmende Systeme sind, daß aber der Körper weder Bewußtsein noch Sozialsysteme anders denn als bezeichneter (eben durch diese Systeme beobachteter) Körper irritieren kann, also nur in der Form kompletter Alterität, als Bezug oder Bezugnahme in einer nicht-körperlichen Operativität. Er ist selbst kein Beobachter.

Der Körper bleibt für beobachtende Sinnsysteme das Signifikat eines Signifikanten, der das Zeichen nicht sprengt, weil das Signifikat Moment des Zeichens (nicht Moment einer wie immer gearteten Sinnexternität) ist; er kursiert als unterscheidungsgestützte Markierung in der geschlossenen Autopoiesis sowohl des Bewußtseins als auch des Sozialsystems und ist in dieser Hinsicht unaufhebbar sinn-immanent. Umso auffälliger ist es, daß er – wiewohl nur in dieser Form ansteuerbar – als Referenz unausweichbar erscheint. Er kann nicht weggedacht, nicht wegkommuniziert werden. Die Bezeichnung des Körpers ist in alle Operationen psychischer und sozialer Systeme eingebaut, sei es, daß er genannt wird, sei es, daß er als conditio sine qua non schlechterdings vorausgesetzt ist.

Man käme mithin nicht weiter, wenn man diese Nennung (Markierung) oder diese operative Vorausgesetztheit zum Anlaß nähme, den Körper des Menschen (nach so vielen Prozessen der De-Ontologisierung und Dekonstruktion) zu re-ontologisieren, ihn als originäre Präsenz aufzufassen, die dann wieder nur (wie immer auch subtil) beschrieben werden könnte. Der für die Systemtheorie typische Weg ist die Konstruktion des Problems, im Blick auf das die Nennung des Körpers und seine operative Vorausgesetztheit, die Begünstigung seiner präsentischen Evidenz als Lösung gedeutet werden kann, die mit anderen Problemlösungen vergleichbar ist.

 

II

 

Zunächst ist wichtig, daß das Bewußtsein offenkundig keine körperlichen Eigenschaften hat.[20] Es imponiert ersichtlich nicht durch sein Gewicht, seine Masse, seine Ausdehnung. Es ist nicht isolierbar wie ein Präparat, das man ausstellen könnte. Es nimmt keinen Raum ein. Man kann dann zwar noch sagen, daß alle Bewußtseinszustände Körperzustände seien[21], aber man sagt damit auch, daß das Bewußtsein selbst nicht umstandslos mit diesen Körperzuständen zu identifizieren ist. Es muß, wenn man so will, sich denken, daß es an einen Körper geknüpft ist, und es kann dies nur denken, wenn ihm gesagt wurde, daß es sich so verhält.[22] Es ist (in der Sprache der neueren Systemtheorie) die autopoietische Verkettung von Beobachtungen, die sich dem wahrnehmungsbasierten psychischen System einschreiben. Als autopoietisches System kann es nichts in sich hineinnehmen, nichts an sich entdecken, was nicht es selbst ist.

Dabei ist die Subjektstellung, in die das Bewußtsein als ‚es‘ einrückt, zusätzlich irreführend. Das Bewußtsein ist kein Ding, das im Rahmen unserer Sprache ein Subjekt sein könnte, das sein Prädikat beherrscht. Es ist nicht ‚Es‘.[23] Man könnte insofern notieren: Es ist ‚Unjekt‘.[24] Oder sagen, um es handlicher zu machen: Der Ausdruck ‚Bewußtsein‘ (der sehr deutsch ist) steht ein für eine spezifische, zeitbasierte Operativität, die keine andere Einheit hat als die Form ihrer Operationen. So beobachtet, hat das Bewußtsein keine Identität, keinen Dreh- und Angelpunkt, um den es gravitiert oder in den es sich einhakt, keine Stelle, von der es sich wie von einem cor et punctus aus selbst seine Einheit repräsentieren könnte. Ebendies kennzeichnet die Form der Autopoiesis.

Wenn der menschliche Körper in dieser nicht-körperlichen Autopoiesis mitspielt, läßt sich fragen, wie er – obwohl vom Spiel als ‚Ding‘, als ‚Etwas‘ ausgeschlossen – dennoch ins Spiel kommt. Ein erster Hinweis für eine Antwort findet sich darin, daß das Bewußtsein als System von Beobachtungsverknüpfungen nicht identisch ist mit dem System der Organisation von Wahrnehmung.[25] Das Bewußtsein operiert, wie man sagen könnte, im Medium der Wahrnehmungen, die die Gegenwart des Systems ausmachen und in einem fort – kaum aufgetaucht – auch schon wieder zerfallen.[26] Die Wahrnehmungen sind kompakt, lassen wenig Analyseschärfe zu, und sie können nicht negiert werden.[27] Vor allem aber sind Wahrnehmungen die Kontaktebene, auf der das psychische System Beziehungen zum Körper unterhält oder zu unterhalten scheint. Man kann den Eindruck gewinnen, daß es eine Art ‚Online-Registratur‘ von Körperzuständen betreibt.[28]

Allerdings sind Wahrnehmungen Resultate der Externalisierungsleistungen des neuronalen Systems, das – indem es Wahrnehmbarkeit herstellt – selbst nicht wahrgenommen wird.[29] Wahrnehmungen nehmen die Körperprozesse, durch die sie erzeugt werden, nicht wahr. "Das Lebewesen bezieht aus dem Milieu, was es in den Stand setzt, so zu handeln, als existierte dieses Milieu nicht." formuliert Paul Valéry.[30] In analoger Darstellung: Das psychische System nimmt wahr, weil es nicht wahrnimmt, wie es wahrnehmen kann. Es hat keinen Zugriff auf das Milieu (die neuronale Umwelt), auf die Prozesse, die ihm die Welt, wenn man so will, ‚hinstellen‘ als eine begehbare, ertastbare, riechbare, hörbare, sichtbare Welt, in der auch der Körper hoch bruchstückhaft und seltsam ‚verschmiert‘ als ein Ensemble von Aspekten[31] (und gerade nicht als: zu besichtigende Totalität) erscheint.

Er taucht aber nicht als er selbst auf, als das externe Körperding, von dem jemand unmittelbare Kunde haben könnte, sondern als Projektion, die im Falle sinnbasierter psychischer Organisation die Form von Sinn annimmt, die Form also der verweisenden Selektion. Wir nehmen nicht ‚Etwas‘ wahr, sondern ‚Etwas‘ als ‚Dies oder Das‘. Wir riechen ‚unseren Schweiß‘, schmecken ‚mit unserer Zunge‘, sehen ‚unsere Hände‘, spüren ‚unseren Magen‘, hören ‚unsere Stimme‘.[32] Dabei ist es nicht nötig, daß all dies dezidiert bezeichnet wird, es ist zuhanden als ‚Dies oder Das‘ des Körpers, das problemlos in Anspruch genommen wird, es sei denn, es gibt eine Störung, die zur dezidierten Bezeichnung, also zur Beobachtung zwingt.[33]

Beobachtungen dieses Typs (Bezeichung-Unterscheidung) konstituieren das Bewußtsein, woraus sich eine Kaskade von Informationsverlusten ergibt: Die Wahrnehmung ist, um eine Metapher von Freud aufzugreifen, die Projektion einer Oberfläche, die ihre ‚Projiziertheit‘ und den Projektor nicht mitregistrieren kann.[34] Und das Bewußtsein reduziert das Projizierte der Wahrnehmung auf Unterscheidungen und Bezeichnungen und erzeugt dabei, wenn man so sagen darf, einen Überhang des Nicht-Bezeichneten. Seine Autopoiesis ist im Blick auf die Kompaktheit der Wahrnehmung ‚asketisch‘, oder (in einem schnellen Seitenblick auf William James) ‚fransenfrei‘. Das Bewußtsein, heißt das auch, ‚reitet‘ Wahrnehmungen auf, es nutzt sie als Medium, aber es nimmt nicht selbst wahr. Als System verkettet es Bezeichnungen (Beobachtungen).

Die Frage ist, was das Bewußtsein bezeichnet, wenn es den Körper bezeichnet, obwohl es ihn selbst nicht wahrnimmt. Mit welcher Unterscheidung oder welchen Unterscheidungen supercodiert es das Medium der Wahrnehmung, wenn es um den Körper geht? Oder noch anders. Wie unterscheidet sich das Bewußtsein in seiner eigenen Operativität von dem, was es als Körper, Leib oder Fleisch zu bezeichnen vermag?

 

III

 

Eine erste Antwort steckt schon in der Frage selbst: Das Bewußtsein unterscheidet sich in sich selbst, indem es sich von Körper, Leib oder Fleisch unterscheidet. Wenn es sich bezeichnet, bezeichnet es nicht den Körper, sondern sich selbst im Unterschied zu ihm, und wenn es den Körper bezeichnet, dann markiert es ihn in Differenz zu sich selbst. In klassisch cartesischer Diktion: Es markiert sich als unausgedehnt, als Nicht-Ding, als Nicht-Körper (res cogitans) in Differenz zu Ausgedehntem, Dinghaften, Körperlichen (res extensa).[35] Das Konzept sinnbasierter Autopoiesis vorausgesetzt, nimmt es diese Markierung ‚intern‘ vor, das heißt auch, daß die andere Seite der Unterscheidung zwar Externes meint, aber dies Externe nur intern (auf der Innenseite der Unterscheidung) bezeichnet. Es handelt sich also um einen re-entry der Unterscheidung des Systems in diese Unterscheidung, woraus sich ebenfalls ergibt, daß das Bewußtsein keinen Kontakt aufnehmen kann mit seinem Ur-Sprung, mit dem Zuvor seiner internen Selbst-Unterscheidung, mit der sozusagen ‚faktischen‘ Differenz oder (je nach Gusto) 'faktischen' Einheit von Körper und Bewußtsein.[36]

Wenn das Bewußtsein intern zwischen sich und dem Körper auf diese Weise unterscheidet, kann es sich auf zwei Quellen stützen, die diese Unterscheidung nahelegen. Einmal wird es im sozialen Oktroi der sinnhaft verfügbaren Welt mit dem Zeichen 'Körper' (und all seinen Äquivalenten, Ableitungen, Spielarten) vertraut gemacht.[37] Und dann: Das Einfallstor für diese 'Introjektion' sind einzig und allein: Wahrnehmungen, die das Medium für die Einschreibungen von Beobachtungen darstellen. Wahrnehmungen sind aber Externalisierungsleistungen des neuronalen Systems, wobei das Wort (!) Externalisierung schon die Referenz auf Raum, auf eine räumliche Welt, in der Innen und Außen unterscheidbar sind, mitführt.[38]

Man kann das genauer sehen, wenn man darauf achtet, daß Wahrnehmung immer gegenwärtig ist und nicht ausgreifen kann in die Zukunft oder Vergangenheit. Wahrnehmungen konstituieren, was man Präsens und Präsenz nennt. Sie sind immer unmittelbar, kompakt, deswegen, wie wir gesagt haben, kaum analyse- bzw. negationsfähig.[39] Das gilt auch für die Wahrnehmung des Körpers: Er ist aktuelles Raumding, ein 'Volumen', das eine Stelle einnimmt (besetzt), an der zur gleichen Zeit nichts anderes sein kann, und er kann (für die Wahrnehmung) diese Stelle verlassen, um dann (und in jedem Moment) an einer anderen Stelle so zu sein, daß die vorherigen Stellen, an denen er sich befand, durch andere Körper oder Dinge (oder durch eine 'Leere') ausgefüllt werden.[40] Das Bewußtsein ist demgegenüber ein ‚Zeitbewirtschaftungssystem‘, das mit nicht wiederbesetzbaren Zeitstellen umgehen können muß, also nicht Volumina (Gedankendinge) hin- und herrückt, sondern Bezeichnungen-im-Rahmen-von-Unterscheidungen in die Form einer différance-technisch ermöglichten Sequenz bringt. Es ist diese Sequentialität.[41]

Sequentialität, das bedeutet auf den ersten Blick, daß das Bewußtsein die kompakte, weitgehend lückenfreie Präsenz der Wahrnehmung in die Form von einander folgenden, aufeinander bezogenen Ereignissen bringen, sie also temporalisieren oder 'eventualisieren' können muß. Das Mittel dazu ist die scharfe Reduktion der Wahrnehmungsgegenwart auf Beobachtungen (Bezeichnungen, Unterscheidungen), die sich seriatim verketten lassen und zwar in der Form eines unaufhörlichen Aufschubs/Nachtrags (der différance), mit dem das Entstehen von 'Zeitinseln', die Möglichkeit einer durchgehaltenen schieren Gegenwart ausgeschlossen wird. Die Wahrnehmung, die eine En-bloc-Appräsentation ist, wird beobachtungstechnisch diskontinuiert.

Diskontinuierung ist die Bedingung der Möglichkeit von Sequentialität. Sie ist nur möglich, wenn es einem System gelingt, den Kompaktlärm, dem es ausgesetzt ist, zu digitalisieren, ihn zu 'durchlüften' mit Intervallen, mit denen es ein Element, das eben dadurch entsteht, separiert von nächsten Elementen, die selbst nur als Elemente fungieren können, wenn mit ihnen dasselbe geschieht.[42] Diese Trennung ist offensichtlich beschreibbar als ein Moment der Verräumlichung (Intervall, Lücke, Durchschuß, Separation etc.), ein Vorgang, der damit zu tun hat, daß wir (ganz aristotelisch) die Zeit nach dem Raum bemessen.

 

Abbildung 1[43]

 

Die üblicherweise zu schnell gestellte Frage ist dann die nach dem, was 'im' Intervall, was in der Lücke geschieht, eine Frage, die der Strategie der Verräumlichung schon aufsitzt. Man müßte sich, wenn man so fragt, ein Modell gebildet haben, in dem das Bewußtsein viele minimale Absencen haben kann, und tatsächlich ist es leicht, auf diese Idee verfallen, wenn man Sequentialisierung als Erzeugung einer Reihe von gleichartigen Elementen auffaßt, die durch (zeitliche) Abstände (!) getrennt sind: ein Gedanke, noch ein Gedanke (G1 - G2 - G3 ... Gn).[44] Weiter kommt man vielleicht, wenn man prüft, wie die Autopoiesis des Bewußtseins zu dieser Verräumlichung kommt, obgleich sie nur Zeit zur Verfügung hat und nicht selbst Räume (Stellen) besetzt..[45]

 

IV

 

Die These war, daß das Bewußtsein als autopoietisches System sich dem Medium der Wahrnehmungen 'einschreibt'. Das heißt, wenn man die Form/Medium-Unterscheidung zugrundelegt, daß es eine Differenzierung-in-demselben darstellt. Oder anders ausgedrückt: Bewußtsein ist nichts ohne Wahrnehmung. Es ist beobachtungstechnisch spezifizierte (designierte oder dezidierte) Wahrnehmung.[46] Ebendeshalb ist es so schwer, sich wahrnehmungsfreies Bewußtsein vorzustellen, also Bewußtsein ohne Körper.[47] Im Grunde geht es darum, daß das, was als elementare Einheit des Bewußtseins reproduziert wird (sagen wir: Gedanken, Vorstellungen), selbst wahrgenommen werden muß und daß es deswegen um die Externalisierungsleistung des neuronalen Systems, das Wahrnehmungen ermöglicht, nicht herumkommt.[48] Es vollzieht die Verräumlichung der Wahrnehmung mit, fährt nolens volens in der 'Spur' der Externalisierungs- und Lokalisierungsleistungen des neuronalen Systems. Seine basale Selbstreferenz ist geknüpft an die laufend mitinszenierte Fremdreferenz, die die Gedanken/Vorstellungen exponiert, vor-stellt, sie 'outet' - als etwas.[49] Ohne diese Funktion des 'Äußerns' würde es nichts haben, womit es sich beobachten könnte. Es würde seiner selbst nicht ansichtig, wäre nichts als schiere Operativität. Bewußtsein, so lautet die klassische Formulierung, ist immer Bewußtsein von etwas, und das heißt: immer schon spatialisiert..

Bezogen auf die Operationen des Systems bedeutet dies, daß sie auf der einen Seite kompakt, opak, nicht negierbar, nicht analysierbar sind, insofern sie Wahrnehmung in Anspruch nehmen, daß sie aber auf der anderen Seite als Momente der différance-basierten Zeit der Beobachtungsverkettung nicht Wahrnehmung sind, insofern sie nicht Wahrnehmungen prozessieren, sondern eben: Beobachtungen, die aber ohne Wahrnehmung nicht zustandekämen. Das Bewußtsein oszilliert, wenn man so sagen darf, zwischen diesen beiden Positionen, zwischen der verräumlichenden (ent-äußernden) Wahrnehmung, die es in Anspruch nehmen muß, um überhaupt 'gegenwärtig' zu sein (und sich seiner selbst gewärtig), und der hoch abstrakten Autopoiesis, die es als System begründen. Das erklärt auch die Selbstunterscheidung des Bewußtseins, die wir oben diskutiert haben: Es unterscheidet, wie sich jetzt formulieren läßt, die spatialisierende Wahrnehmung, der es sich einschreibt, von der Enträumlichung (Verzeitlichung), durch die es konstituiert ist. Diese Differenz wirkt als Differenz  und nicht selbst als Raum, dem Intervalle eingefügt werden. Die Lücke 'zwischen' ist der metaphorische Ausdruck für das Wirken dieser Differenz.[50]

Da das Medium, das das Bewußtsein nutzt, Wahrnehmungen sind, die dem 'Raum', dem Volumen des Körpers entstammen (seinen Raum, sein Volumen erzeugen), springt der Körper in der Weise einer déhiscence auf.[51] "Das Bewußtsein findet ihn (den Körper, P.F.) allemal wieder), wenn ein Gedanke zu Ende geht. Er ist die gemeinsame Grenze - jeglichen Gedankens. Er ist Anfang, Ursprungsort; Kapazität oder gefühlter Implex. Wenn ich ihn isolieren und ihn nennen muß, wofern ich das überhaupt kann - dann deshalb, weil in seiner Existenz Abweichungen und Schwankungen auftreten. Stets ist er näher an allen nur Möglichen als alles nur Mögliche."[52] Aber das Bewußtsein findet den Körper, indem es ihn in der Differenz zu sich (zum Nicht-Körper) bezeichnet.[53]

Diese Bezeichnung (und ihre ungezählten Derivate) aber hat es nicht von sich. Sie stammt aus der kompletten Alterität sozialer Systeme.

 

V

 

Es ist zunächst nicht unwichtig, sich zu verdeutlichen, daß Kommunikation als elementare Einheit sozialer Systeme so wenig wie das Bewußtsein einen Körper, ein Volumen, eine Ausdehnung und räumliche Erstreckung hat. Man kann sie nicht wiegen oder sonst irgendwie ausmessen.Sie ist nicht lokalisierbar. Sie ist, um parallel zur Diskussion des Bewußtseins zu argumentieren, 'Unjekt'. Man kann sie nicht wahrnehmen, oder in anderen Worten: Sie ist Moment eines autopoietischen (deswegen zeitbasierten) Systems, in dessen Umwelt Ausgedehntes, Räumliches vorkommen kann, das aber, wenn es kommunikativ bezeichnet wird, alle diese Eigenschaften nicht mehr aufweist, sondern die Form von Sinn annimmt, die Form selektiver Verweisung.[54] In genauer Parallellage zur Form des Bewußtseins gilt dann, daß auch für Kommunikation der menschliche Körper nur sinnförmig markiert werden kann, aber nicht: irgendwie geartetes Moment der Autopoiesis sozialer Systeme ist. Das gestattet es, sich (erneut in Parallelage zur Erörterung des Bewußtseins) die Frage zu stellen, wie für Kommunikation der Körper ins Spiel kommt, wiewohl er als Körper nicht im Spiel ist.

Wenn sich Kommunikation bestimmen läßt als Liaison von Information, Mitteilung und Verstehen[55], dann ist recht schnell zu sehen, daß das Moment der Ent-Äußerung, der 'Materialisierung' von Kommunikation an die Selektion der Mitteilung geknüpft ist. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Selektion ist, daß in einen opaken (irgendwie eingerahmten oder abgeschotteten) Zusammenhang die Differenz von Information und Mitteilung hineinprojiziert werden kann. Es muß, wenn man so will, etwas geben (oder als Anlaß für diese Annahme genommen werden), das intern mit sich selbst umgehen kann, aber diese Internität intransparent hält - für jeden denkbaren Beobachter. Benötigt wird ein 'Umhülltes', das einerseits verbirgt, was es denkt, andererseits Äußerungen produziert, die nahelegen, zu unterstellen, daß es in dem 'Umhüllten' zu Prozessen des selbstreferentiellen Umgang mit Fremdreferentiellem kommt.

Von der Kommunikation her gesehen, erzwingt dies die Konstruktion nicht nur einer Mitteilung, sondern die eines Mitteilenden.[56] Kommunikation 'flaggt' sich aus, indem sie von Moment zu Moment Mitteilende entwirft, denen Mitteilungshandeln zugeschrieben wird, das in den opak-kompakten Tiefen eines intransparenten Zusammenhanges ermittelt wird.[57] Kommunikation wäre nicht erforderlich, wenn das, was das Bewußtsein tut, für sie unmittelbar, unter Umgehung von Intransparenz, also ohne doppelte Kontingenz zugänglich wäre.[58] Kurz: Die 'Hülle' des Körpers ist unvermeidbar, wenn Kommunikation Mitteilende entwirft, sei es, daß die Körper unmittelbar präsent sind wie in der Interaktion, sei es, daß auf Körper, die schreiben, geschrieben haben, zugerechnet wird.[59]

Umgekehrt (und deswegen) kommt das Bewußtsein nicht umhin, wenn es mit Kommunikation Kontakt unterhält, die Spur des Körpers, die es in der Differenz von Wahrnehmungsmedium/Beobachtungsform (Körper/Bewußtsein) mitregistriert, sozial konfirmiert zu finden. Die Unterscheidung, die es in sich selbst von sich selbst macht, wird von Kommunikation bestätigt, die - wie das Bewußtsein - körperfrei ist, aber den Körper als Garanten der Intransparenz (also zur Konstitution der eigenen Grenze) benötigt. Dies ist (wie das Wort 'umgekehrt' signalisiert) ein klassischer Fall konditionierter Koproduktion, der sich sprachlich kaum auflösen läßt: Die Selbstunterscheidung des Bewußtseins setzt Zeichengebrauch in Form der Beobachtung voraus, die intern von der Wahrnehmung des Körpers unterschieden wird; aber der Zeichengebrauch setzt Kommunikation voraus als ein nicht-privates Medium, das dem Bewußtsein seine interne Unterscheidungsmöglichkeit überhaupt erst realisierbar macht. Schon deshalb ist es kaum möglich, sich Bewußtsein vor der Evolution von Kommunikation zu denken oder Kommunikation vor der Evolution von Bewußtsein. Die Koproduzenten sind ohne einander nichts. Ihre 'Verzweiung' ist Artefakt von Beobachtern.

Entscheidend ist, daß der Körper (vorzugsweise der menschliche) Körper auf beiden Seiten (im Ko-) als beobachteter (bezeichneter) Körper auftaucht, immer auf der Außenseite der Unterscheidung, die die Bezeichnung des Systems (Sozialsystem hier, Bewußtsein dort) auf der Innenseite erzwingt. Er ist also immer und konstitutiv im Spiel als kompakte, voluminöse Garantie von Intransparenz, die aber nicht als Volumen wirkt, sondern als beobachteter Gegenhalt der zeitbasierten Autopoiesis jener Systeme - superevident in dem Sinne, daß seine Löschung das Bewußtsein und das Sozialsystem tilgen würde. Von daher ist klar, daß das, was als Bewußtsein oder Sozialsystem jeweils zustandekommt, davon abhängt, wie der Körper beobachtet wird.

 

VI

 

Zur Beobachtung des Körpers ist unendlich viel gesagt worden, und noch immer scheint das mutmaßende Reden über ihn kein Ende zu nehmen.[60] Unter solchen Umständen kann man die exponentielle Vermehrung und Amplifikation der Kommunikation über Körper selbst als Krisensymptom nehmen. Diese Vermutung liegt schon deshalb nahe, weil die Systemtheorie im Theoriestück des symbiotischen Mechanismus die Auffassung vertritt, daß Sozialsysteme, insbesondere die Funktionssysteme der Gesellschaft, mit der Zunahme ihres Abstraktionsgrades einerseits immer weniger auf Körper angewiesen sind, andererseits aber in Krisenlagen die Möglichkeit vorhalten, Körperreferenzen zu aktualisieren.[61] Der Körper dient als Möglichkeit der De-Abstraktion. In der Wissenschaft wäre (der Rekurs auf) Wahrnehmung ein solcher Mechanismus, in der Wirtschaft körperliche Bedürfnisse, in der Politik Gewalt gegen Körper, im Intimsystem Sexualität, in der Religion vielleicht Sterblichkeit und in der Kunst nervöse Irritabilität.

Für unsere Überlegungen ist aber maßgebend, daß die Krisenlage, die in der Gesellschaft zur Augmentation des Redens und Schreibens über den Körper und zu seiner unentwegten Präsentation und Modifikation führt, gerade nicht eine soziale Krisenlage zu sein scheint. Die Gesellschaft hat niemals Probleme damit, daß Kommunikation stattfindet, denn sie ist nichts weiter als deren unentwegte Reproduktion.[62] Die Funktionssysteme der Gesellschaft können, weil sie je spezifische Kommunikationsformen nutzen, in Probleme der Dysfunktionalisierung bzw. der Entdifferenzierung geraten, kaum aber die Gesellschaft, für die jede Art von Kommunikation nur relevant ist, weil sie Kommunikation stimuliert, unbekümmert um das, worüber sie handelt oder durch welchen Umweltlärm sie ausgelöst wird. Deswegen könnte man sich mit dem Gedanken befreunden, daß die Proliferation der Kommunikation über Körper (und/oder anhand von Körpern, die sich speziell für Kommunikationszwecke ausstatten, mitunter gar: deformieren[63]) ein Anzeichen dafür ist, daß die entscheidende Umwelt der Gesellschaft (eben: Bewußtsein) auf eine sozial induzierte Gefahrenlage stößt, die dazu führt, daß psychische Systeme sich durch Kommunikation über Körper faszinieren lassen.

Die Annahme ist, daß unter der Ägide funktionaler Differenzierung des Gesellschaftsystems jede denkbare Einheitsformel, mit der empirisches Bewußtsein sich als spezifisch identisch erfahren könnte, gesprengt wird.[64] Die Gesellschaft wird, um es mit einem Ausdruck von Gotthard Günther zu sagen, polykontextural.[65] Sie ist nicht mehr reduzierbar auf einen Zusammenhang mit einem Punkt der Repräsentation ebendieses Zusammenhangs, sondern sie ist heterarch, hyperkomplex, polykontextural.[66] Ihre Einheit ist nur noch Kommunikation selbst, also ihr Operationsmodus, aber nicht eine Idee, eine Kosmologie, eine Theologie, ein irgendwie den Zusammenhang garantierender, legaler Super-Beobachter. Das Bewußtsein, das mit dieser Form der Gesellschaft ko-variiert, wird deswegen nicht einfach beansprucht, sondern hat es mit Vielfach-Beanspruchungen zu tun, die keinen Gegenhalt in einer orientierenden Einheit haben, durch die sich die schiere Vielheit der Beanspruchungen als Mannigfaltigkeit eines Kontextes beschreiben ließe. Modernes Bewußtsein ist, um es mit der Romantik zu sagen, fragmentarisiert, ohne daß sich die Fragmente zu einem Objekt zusammenfügen ließen, das sich in sich selbst seiner selbst vergewissern könnte.[67]

Unter diesen Umständen ist es zu erwarten[68], daß Strategien der De-fragmentarisierung gesucht werden, und in genau dieser Hinsicht bietet sich die (scheinbare) Super-Evidenz des Körpers an. Er wird (auch und vor allem soziologisch) als dasjenige gehandelt, worin oder woran sich Bewußtseine singularisieren, sich individualisieren, gerade weil das Bewußtsein selbst alles andere als singulär oder individuell ist, da alles, was es denken kann, sozial vor-gedacht, sozial angeliefert worden ist. Es liegt dann nahe, auf den Körper auszuweichen, der die Einheit der Vielfalt markiert, das Unauslöschbare, das wie ein inviolate level funktioniert, von dem her sich das einzelne menschliche Bewußtsein als einzeln Identisches beschreiben kann, von dem her aber auch die großen Themen der Geburt, des Todes, des Begehrens organisiert werden, die im Gegensatz stehen zur Abstraktion der Funktionssysteme und den Körper als ens realissimum erscheinen lassen.

Da aber der menschliche Körper, wie wir gezeigt haben, beobachteter Körper ist und da die Sinnzuweisungen, die sich auf ihn beziehen, nur sozial organisiert werden können (auch im Falle des beobachtenden Bewußtseins), kann dieser Körper nicht aus der Fragmentarisierung herausgenommen werden, die durch funktionale Differenzierung bezeichnet ist.[69] Das eine Bewußtsein thront nicht mehr in dem einen Körper, der garantiert, daß es das eine Bewußtsein ist, sondern: Polykontexturales Bewußtsein erzeugt sich den polykontexturalen Körper. Dieses Bewußtsein hat keine eineindeutige Residenz mehr, die aus Fleisch, Blut, Nerven zusammengesetzt ist. Er 'gleitet' in den Sinnbezügen, die ihm offeriert werden, einerseits als Indifferenz gegenüber Sinn (als Produzent von Ereignissen, die selbst weder als Kommunikation noch als Bewußtsein begriffen werden können)[70], andererseits als sinnhafter (differentieller) Aufgriff ebendieser Indifferenz, die für Sinnsysteme niemals Indifferenz sein kann, sondern nur: Differenz. Der Körper ist in der Moderne nicht nur immer anders beobachtbar (und immer anders von wo andersher), sondern auch diese Beobachtungen selbst sind gegenbeobachtbar. Die Semantik des einen Körpers ist unmöglich geworden.[71]

Bezieht man diese Überlegung zurück auf die Selbstunterscheidung des Bewußtseins, auf diesen re-entry der Innen/Außen-Differenz im System, dann ist die Außenseite der internen Bezeichnung 'Bewußtsein' (nämlich Körper) uneindeutig geworden, polykontextural wie die Form der Gesellschaft selbst, und aus demselben Grund ist auch das eine, das identitäre Bewußtsein nicht mehr ein-sinnig, sondern viel-sinnig. Es ist nicht mehr einfach ES. Unter dieser Voraussetzung leuchtet es ein, daß im Transit von der stratifizierten zur funktional differenzierten Gesellschaft der eine identitätsorientierende Körper gesucht wird (in unaufhörlichem Reden) und genau damit (in diesem unaufhörlichen Reden) zur Sinnverfügungsmasse wird, die die Suche nach dem Körper sabotiert. Diese Sabotage hat längst begonnen, und deswegen könnte es interessant sein, zu beobachten, welche Sinnmutanten dem variety-pool der Gesellschaft als funktionale Äquivalente des Körpers entnommen werden. Das müßte ja so etwas Paradoxes sein wie unkörperliche Körper.

 

 


[1] Vgl. zu dieser Schein-Evidenz Armin Nassehi, Geklonte Debatten, Über die Zeichenparadoxie der menschlichen (Körper-)Natur, die Theologie des Humangenoms und die Ästhetik seiner Erscheinung, in: Oliver Jahraus/Nina Ort (Hrsg.), Theorie - Prozeß - Selbstreferenz, Systemtheorie und transdisziplinäre Theoriebildung, Konstanz 2003, S.219-238, S.222f.

[2] Vgl. zur sozialen Vermittelheit des Körpers für viele Bette, Karl-H., Körperspuren, Zur Semantik und Paradoxie der modernen Körperlichkeit, Berlin – New York 1989; Butler, J., Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M. 1991; diess., Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 1995; Sennett, Richard, Fleisch und Stein, Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation, Frankfurt a.M. 1997. Als spannende Erzählungen einer anderen Körpergeschichte vgl. die Aufsätze in Hagner, Michael, Der falsche Körper, Beiträge zu einer Geschichte der Monstrosität, Göttingen 1995, und: Lachmund, Jens, Der abgehorchte Körper, Zur historischen Soziologie der medizinischen Untersuchung, Opladen 1997.

[3] Siehe zum Gegenwärtig-Werden der Welt am Körper (allerdings im Kontext impliziten Wissens) Polany, M., Implizites Wissen, Frankfurt a.M. 1985 (The Tacid Dimension, New York 1966), S.23f.

[4] So auch Nietzsche, wenn er sagt, daß das Bewußtsein gegenüber dem Leibe ein zweitrangiges, ein Phänomen der Zweit-Wichtigkeit sei. Das Geistige sei abgeleitet. Es "ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten." Nietzsche, F., Nachgelassene Fragmente, in: Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden (hrsg.) von Giorgio Collo und Mazzino Montinari, München – Berlin – New York 1980, Bd.10, S.285. So ähnlich argumentiert auch Vico, G., Über die älteste Weisheit der Italier, wie sie zu erheben ist aus den Ursprüngen der lateinischen Sprache, München 1979, S.53, wenn er sagt, daß es kein körperfreies Denken gebe, eine Behauptung, die man im Duktus unserer Überlegungen umkehren könnte: Es gibt keinen denkfreien Körper.

[5] Diesem Unterschied zollt etwa die Leib/Körper-Unterscheidung Tribut. Vgl. Schmitz, H., System der Philosophie, Bd.II, 1. Teil, Der Leib, Bonn 1966; ders., Leib und Gefühl, Paderborn 1992. In diesem Text reden wir aber nahezu durchweg vom Körper. Der Grund dafür ist, daß ein begrifflicher Zugang gesucht wird, der Bewußtsein und Sozialsysteme gleicherweise betrifft. Es geht also nicht vordringlich um die bewußte Konstitution des Körpers als Leib.

[6] Nishida, K., Über das Gute, Eine Philosophie der reinen Erfahrung, Frankfurt a.M. 1989 (Tokio 1924), S.77. Siehe als modernere Version Johnson, Mark, The Body in the Mind, The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago - London 1987.

[7] Ohne Beobachtung zu beobachten, wäre der Versuch, alles, was ist, zu löschen. "'Wir erzeugen eine Existenz, indem wir die Elemente einer dreifachen Identität auseinandernehmen. Die Existenz erlischt, wenn wir sie wieder zusammenfügen. Jede Kennzeichnung impliziert Dualität, wir können kein Ding produzieren, ohne Koproduktion dessen, was es nicht ist, und jede Dualität impliziert Triplizität: Was das Ding ist, was es nicht ist, und die Grenze dazwischen." Spencer-Brown, G., Gesetze der Form, Lübeck 1997, S. xviii

[8] Siehe zum Grundgedanken der Informationsraffung Günther, Gotthard, Bewußtsein als Informationsraffer, in: Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaften 10, 1969, S.1-6.

[9] Vgl. Ditterich, J./Kaehr, R., Einübung in eine andere Lektüre. Diagramm einer Rekonstruktion der Güntherschen Theorie der Negativsprachen, Philosophisches Jahrbuch, 2, 86, 1979, S.386.

[10] Die Nuer setzen für das nicht Bezeichenbare) die Bezeichnung "kwoth" (also eben eine Bezeichnung) ein. Vgl. dazu Schäfer, A., Unbestimmte Transzendenz, Bildungsethnologische Betrachtungen zum Anderen des Selbst, Opladen 1999, S.161. Im übrigen sind auch Bezeichnungen wie ‚Spüren‘ nichts weiter als Bezeichnungen.

[11] Sicher kann man sagen, daß er mehr ist als nur dies und sich irgendwie anders als sinnförmig zur Geltung bringen kann, aber hier geht es darum, daß dies gesagt und gedacht (also beobachtet) wird.

[12] Siehe dazu bündig Derrida, J., Die différance, in ders., Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S.29-52

[13] Siehe als Überblick Böhme, H., Gefühle, in: Wulf, Ch. (Hrsg.), Vom Menschen, Handbuch der Historischen Anthropologie, München 1996, S.525-548, der zeigt, daß die Referenz auf den Körper keineswegs evolutionär stillsteht.

[14] Auf Begriffe wie Psycho-Somatik (und familienähnliche Wörter) wird damit ein sehr schräges Licht geworfen.

[15] Vgl. Hahn, Alois/Jakob, Rüdiger, Der Körper als soziales Bedeutungssystem, in: Fuchs, P./Göbel, A. (Hrsg.), Der Mensch - Das Medium der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1994, S.146-188, S.147 (unter Bezug auf Vernant).

[16] Daß er ein Ganzes, eine Einheit sei, ist zunächst auch weder phänomenologisch noch vom Alltagserleben her evident. Siehe zum Argument Hahn/Jacob 1994, S.150f. Siehe auch für die Nachwirkung des Motivs der Mehrleibigkeit (Zweileibigkeit) Bachtin, M., Literatur und Karneval, Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969, S.15-23.

[17] Marx, Weber, Elias, Foucault sind Kronzeugen für diesen Kontroll- und Zivilisationsgedanken. Vgl. Hahn/Jacob, a.a.O., S.152.

[18] Dieses 'zunächst' soll signalisieren, daß die Idee konditionierter Koproduktion diese Differenz unterläuft. Sie wird nicht in diesem Aufsatz thematisiert. Siehe aber Fuchs, P., Die konditionierte Koproduktion von Kommunikation und Bewußtsein, in: Ver-Schiede der Kultur, Aufsätze zur Kippe kulturanthropologischen Nachdenkens (hrsg. von der Arbeitsgruppe „menschen formen“ am Institut für Soziologie der freien Universität Berlin), Marburg 2002, S.150-175.

[19] Man könnte einwenden, daß Körperzustände wie etwa Schmerzen oder Gefühle sich direkt als Irritationsquelle auswirken, aber das Argument ist hier: in der Registratur durch ein sinnförmig operierendes System und nicht als ein System, dem eigene Beobachtungsoperationen unterstellt werden könnten. Es ist nichts als eine Metapher, wenn man äußert, der Körper sage einem etwas, oder er müsse verstanden werden. Die Organe schreien nicht, wenn sie sich bemerkbar machen. Vgl. zu diesem Bild Kaeser, E., Medium und Materie, Für ein komplementaristisches Konzept des menschlichen Körpers, in: Philosophia Naturalis, Bd. 34, H.2., 1997, S.327-362.

[20] Vgl. eingehender Fuchs, P., Der Sinn der Beobachtung, Bielefeld 2003 (im Druck).

[21] Vgl. James, William, Psychologie, Leibzig 1920, S.5. Siehe ferner Fuchs, P., Wer hat wozu und wieso überhaupt Gefühle?, Ms. Travenbrück 2003.

[22] Siehe zu diesem Argument Fuchs, P., Das Unbewußte in Psychoanalyse und Systemtheorie, Die Herrschaft der Verlautbarung und die Erreichbarkeit des Bewußtseins, Frankfurt a.M. 1998.

[23] Deswegen wäre es schön, diese Überlegungen ließen sich japanisch niederschreiben.

[24] Vgl. zu einer Theorie des Unjekts Fuchs, P., Die Metapher des Systems, Studie zur allgemein leitenden Frage, wie sich der Tanz vom Tänzer unterscheiden lasse, Weilerswist 2001.

[25] Entsprechende Intuitionen finden sich bei Sigmund Freud: Das Bewußtsein ist "ein() Sinnesorgan() zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten. Nach dem Grundgedanken unseres schematischen Versuchs können wir die Bewußtseinswahrnehmung nur als die eigene Leistung eines besonderen Systems auffassen, für welches sich die Abkürzungsbezeichnung Bw empfiehlt. Dies System denken wir uns in seinen mechanischen Charakteren ähnlich wie die Wahrnehmungssysteme W, also erregbar durch Qualitäten, und unfähig, die Spur von Veränderungen zu bewahren, also ohne Gedächtnis. Der psychische Apparat, der mit dem Sinnesorgan der W-Systeme der Außenwelt zugekehrt ist, ist selbst Außenwelt für das Sinnesorgan des Bw, dessen teleologische Rechtfertigung in diesem Verhältnisse ruht." Freud, A. et al. (Hrsg.), Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Frankfurt a.M. 1986(8), Bd.II/III, S.620f.

[26] Siehe als Ausgangstext Heider, F., Ding und Medium, in: Symposion. Philosophische Zeitschrift für Forschung und Aussprache 1, 1926, S.109-157. Vgl. zur Anwendung in der modernen Systemtheorie für viele Texte Luhmann, N., Das Kind als Medium der Erziehung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg.37, H.1, 1991, S.19-40; Luhmann, N., Das Medium der Kunst, in: Delfin 4, 1986, S.6-15. Siehe auch Fuchs, P., Der Mensch — das Medium der Gesellschaft?, in ders./Göbel, A. (Hrsg.), Der Mensch — Das Medium der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1994, S.15-39; ders., Die Beobachtung der Form/Medium-Unterscheidung, in: Brauns, J. (Hrsg.), Form und Medium, Weimar 2002, S.71-83.

[27] Vgl. Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984, S.561.

[28] So mit Bezug auf Empfindung Damasio, Antonio R., Descartes´ Irrtum, Fühlen, denken und das menschliche Gehirn, München - Leipzig, 1997 (3), S. 200ff. „Das Wesen von Traurigkeit oder Fröhlichkeit ist die kombinierte Wahrnehmnung bestimmter Körperzustände und der mit ihnen in Juxtaposition befindlichen Gedanken -. welcher Art sie auch immer sein mögen -, ergänzt durch eine Veränderung des Denkprozesses im Hinblick auf Stil und Effizienz." formuliert Damasio (a.a.O., 1997, S.203) und setzt damit voraus, Wahrnehmung sei die Wahrnehmung von Körperzuständen.

[29] Und selbst nichts wahrnimmt.

[30] Cahiers/Hefte, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1989, S.313. Und mit direktem Körperbezug: "Der Körper hat etwas Doppeldeutiges. Er ist, was wir von uns selbst sehen. Was wir ständig an uns gebunden empfinden. Aber auch, was wir nicht sehen und niemals sehen werden." (S.317). In phänomenologisch komplexer Weise formuliert Merleau-Ponty, M-, Das Sichtbare und das Unsichtbare, München 1994(2), S.191 die vertrackten Verhältnisse: "Das Fleisch, von dem wir sprechen, ist nicht die Materie. Es ist das Einrollen des Sichtbaren in den sehenden Leib, des Berührbaren in den berührenden Leib, das sich vor allem dann bezeugt, wenn der Leib sich selbst sieht und sich berührt, während er gerade dabei ist, die Dinge zu sehen und zu berühren, sodaß er gleichzeitig als berührbarer zu ihnen hinabsteigt und sie als berührender alle beherrscht und diesen Bezug wie auch jenen Doppelbezug durch Aufklaffen oder Spaltung seiner eigenen Masse aus sich selbst hervorholt."

[31] Die im genauen Sinne A-spekte, Weg-Sichten sind.

[32] All dies würde nicht gelten für sinnfrei operierende Kontexte wie Säuglinge, Infusorien, Schnabeltiere.

[33] Siehe zu diesem Störungsgedanken (schweigende versus schreiende Organe) Kaeser, E., Medium und Materie, Für ein komplementaristisches Konzept des menschlichen Körpers, in: Philosophia Naturalis, Bd. 34, H.2., 1997, S.327-362. Und noch einmal Valéry, a.a.O., S.305: "Der größte Teil des Körpers spricht nur, um zu leiden. Jedwedes Organ, das sich meldet, ist auch schon störungsverdächtig. Glückliche Stille der Maschinen, die gut laufen."

[34] Vgl. Freud, GSW, Bd.XIII, S.246 (Das Ich und das Es). Siehe auch Balzer, W., Überlegungen zur "psychischen Oberfläche" des psychoanalytischen Prozesses, in: Jahrbuch für Psychoanalyse 35, 1995, S.34-64, S.38.

[35] Im Unterschied zu Descartes meinen wir hier nicht einen ontologischen Unterschied, zwei Weisen des Seins, sondern gehen (wie immer) vom Beobachter aus, der diese Unterscheidung benutzt. Deshalb ist es nicht notwendig, einen Ort der Koinzidenz zweier Seinsverschiedenheiten, von res cogitans und res extensa zu finden und etwa wie Descartes die „Zirbeldrüse“ als diesen Ort aufzufassen. Vgl. Waldenfels, B. Das leibliche Selbst, Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, Frankfurt a.M. 2000, S.19.

[36] Phänomenologisch gesehen: „Ich, das reduzierte ‚Menschen-Ich‘ (‚psychophysische Ich‘), bin also konstituiert als Glied der ‚Welt‘, mit dem mannigfaltigen ‚Außer-mir‘, aber ich selbst in meiner ‚Seele‘ konstituiere das alles und trage es intentional in mir. Sollte es sich gar zeigen lassen, daß alles als Eigenheitliches Konstituierte, also auch die reduzierte ‚Welt‘ zum konkreten Wesen des konstituierenden Subjekts als unabtrennbar innere Bestimmung gehört, so fände sich in der Selbstexplikation des Ich seine eigenheitliche ‚Welt‘ als ‚drinnen‘, und andererseits fände das Ich, geradehin seine Welt durchlaufend, sich selbst als Glied ihrer ‚Äußerlichkeiten‘ und schiede zwischen sich und ‚Außenwelt‘“. Husserl, E., Cartesische Meditationen, in ders., Gesammelte Schriften (hrsg. von Elisabeth Ströker), Bd.8, Hamburg 1992, S.101.

[37] Genauer: Es existierte nicht ohne diesen Oktroi.

[38] Diese Verdoppelung formuliert auch Merleau-Ponty, a.a.O., S.180: "Wir behaupten also, daß unser Leib ein zweiblättriges Wesen ist, auf der einen Seite ist er Ding unter Dingen, und auf deranderen sieht und berührt er sie; und wir stellen fest, da es offensichtlich so ist, daß er diese zwei Eigenschaften in sich vereinigt,und daß seine doppelte Zugehörigkeit zur Ordnung des 'Objekts' und des 'Subjekts' uns zur Entdeckung ganz unerwarteter Beziehungen zwischen diesen beiden Ordnungen führt."

[39] Vgl. noch einmal Luhmann 1984, S.561.

[40] Vgl. zu dieser Raumtheorie (mit dem Pendant einer Zeittheorie, bei der die Zeitstellen die Körper und die Dinge unbeobachtbar verlassen) Luhmann, N., Organisation und Entscheidung, Opladen 2000, S.152ff. Vgl. zum phänomenologischen Befund, der den reinen Leib als "absolute Örtlichkeit", den reinen Körper als "relative Örtlichkeit", hier auf Hermann Schmitz referierend: Gugutzer, Robert, Leib, Körper, Identität, Eine phänomenologisch-soziologische Untersuchung zur personalen Identität, Opladen 2002, S.90ff.

[41] Die dann wieder die Metaphorik der Verräumlichung aufruft, die Lücke, das Intervall, das Element. Siehe dazu auch Fuchs, P., Die Metapher des Systems, Studie zur allgemein leitenden Frage, wie sich der Tanz vom Tänzer unterscheiden lasse, Weilerswist 2001. "Wir müßten ebenso bereitwillig wie von einem Bewußtsein des Blauen oder des Kalten, von einem Bewußtsein des Und, des Wenn, des Aber und des Durch sprechen. Dennoch tun wir das nicht." formuliert James, William, Psychologie, Leibzig 1920, S.161 James unterscheidet (S.158) Ruhestellen des Bewußtseins (substanzartig) und transitive Bestandteile.

[42] Siehe zu dieser Durchlüftungsthese (aeration) im Blick auf Schrift und die Lesbarkeit der Schrift, Paul Saenger on Space between Words: The Origins of Silent Reading, Interview mit Jill Kitson, 4.1.2000, Radio National, lingua franca. Vgl. ferner Saenger, P., Silent Reading: Its Impact on Late Medieval Script and Society, in: Viator 13, 1982, S.367-414; ders., The Separation of Words and the Order of Words. The Genesis of Medieval Reading, in: Scrittura e Civilta 14, 1990, S.49-74. Siehe auch Chartier, R., The Practical Impact of Writing, in ders. (Hrsg.), A History of Private Life, III, Passions of the Renaissance, Cambridge (Mass.) 1989, etwa S.125 et passim.

[43] Die Abbildung versucht die Verhältnisse in einem ungeeigneten, weil räumlichen Medium zu simulieren. Elemente entstehen durch Einbau von Intervallen und Intervalle durch Elemente, so daß am Ende schwer zu unterscheiden ist, was das Element, was das Intervall ist. Es scheint mir bezeichnend zu sein, daß die Darstellung einem multistabilen Kippbild gleicht. Vgl. Kruse, P., Stabilität – Instabilität – Multistabilität, Selbstorganisation und Selbstreferentialität in kognitiven Systemen, in: Delfin XI, Jg.6, H.3., Okt. 1988, S.35-57.

[44] Die Zählung ist sinnlos, wenn man davon ausgeht, daß es gar keine singulären, damit auch keine Anfangs- oder Endereignisse geben kann, wenn Autopoiesis gedacht wird. Hier geht es nur darum, die 'Intervalle' in ihrer Scheinplausibilität zu zeigen.

[45] Daß dabei die Entwicklung einer lückendurchschossenen Schrift ebenfalls eine entscheidende Rolle spielte, habe ich angedeutet. Genauer ausgeführt, findet sich diese Überlegung in Fuchs, Die Metapher des Systems, a.a.O.

[46] Das Bewußtsein ist "ein() Sinnesorgan() zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten. Nach dem Grundgedanken unseres schematischen Versuchs können wir die Bewußtseinswahrnehmung nur als die eigene Leistung eines besonderen Systems auffassen, für welches sich die Abkürzungsbezeichnung Bw empfiehlt. Dies System denken wir uns in seinen mechanischen Charakteren ähnlich wie die Wahrnehmungssysteme W, also erregbar durch Qualitäten, und unfähig, die Spur von Veränderungen zu bewahren, also ohne Gedächtnis. Der psychische Apparat, der mit dem Sinnesorgan der W-Systeme der Außenwelt zugekehrt ist, ist selbst Außenwelt für das Sinnesorgan des Bw, dessen teleologische Rechtfertigung in diesem Verhältnisse ruht.", formuliert schon Sigmund Freud. Vgl. Freud, A. et al. (Hrsg.), Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Frankfurt a.M. 1986(8), S.620.

[47] Instruktiv ist an der Brain-in-the-vat-Diskussion, daß ein minimales Körperding da sein muß: eben das Gehirn.

[48] Jedenfalls fällt es sehr schwer, sich nicht wahrgenommene Gedanken zu denken. Das erklärt auch die Schwierigkeit, Computern ein Bewußtsein zu unterstellen. Sie operieren nicht im Medium der Wahrnehmung. Sie prozessieren Informationen, die nicht zugleich (!) Wahrnehmungen sind.

[49] Ein alter Topos. Im platonischer Sophistes (237a-e) liest man: légein = légein tí — Sagen ist Etwas Sagen. Parmenides weist als erster auf die Intentionalität des Denkens hin (dóxai — dokoûnta — Annehmen/Angenommenes). Vgl. Thanassas, P., Die erste „zweite Fahrt“, Sein des Seienden und Erscheinen der Welt bei Parmenides, München 1997, S.45f. Vor Brentano und Husserl findet sich der Topos komplex ausgearbeitet bei Hegel. Siehe dazu Kress, A., Reflexion als Erfahrung, Hegels Phänomenologie der Subjektivität, Würzburg 1996, S.33ff. et passim. Vgl. auch zum Topos, daß das Denken das Außen denkt und sich nicht selbst erreicht, Foucault, M., Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M. 1971, S. 390f.

[50] In diesem Sinne ist auch der Ausdruck 'différance' metaphorisch, wenn man ihn als Aufschub oder Nachtrag begreift, der ja gerade nichts aufschiebt oder nachträgt.

[51] Vgl. schon mit Bezug auf den Körper, den Schmerz, den Organismus déshiscence Lacan, J., Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint, Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949, in: Lacan, J., Schriften I ( in deutscher Sprache hrsg. von Haas, N/Metzger, H.-J.), Weinheim - Berlin 1991(3), S.61-70, S.66.

[52] Valéry, Paul, Cahiers/Hefte, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1989, S.336 (Kursivierung im Original).

[53] Ein instruktiver Sonderfall, der hier nicht diskutiert werden kann, ist dann die Musik. Vgl. Fuchs, P.,Vom Zeitzauber der Musik, Eine Diskussionsanregung, in: Baecker, D. et al. (Hrsg.), Theorie als Passion, Frankfurt a.M.1987, S.214-237; ders., Die soziale Funktion der Musik, in: Lipp, W. (Hrsg.), Gesellschaft und Musik, Wege zur Musiksoziologie, in: Sociologia Internationalis, Beiheft 1, 1992, S.67-86; ders., Musik und Systemtheorie - Ein Problemaufriß, in: Tobias Richtsteig, Uwe Hager, Nina Polaschegg (Hrsg.), Diskurse zur gegenwärtigen Musikkultur, Regensburg 1996, S.49-55. Siehe dazu, daß Musik über den Körper schädliche Direktzugriffe auf die Seele oder den Geist habe, Wolf, S.J., Beweis, dass das Walzen eine Hauptquelle der Schwäche des Körpers und des Geistes unserer Generation sey, Halle 1797.

[54] Man könnte also die Unterscheidung Descartes´ zwischen res extensa und res cogitans erweitern, indem man den rebus extensis zweierlei Unausgedehntheiten gegenüberstellt: res cogitans und res communivativa.

[55] Vgl. zu den folgenden Überlegungen das Kapitel über Kommunikation in Luhmann 1984.

[56] Der nicht ein Mensch sein muß. Vgl. dazu Fuchs, P., Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale Systeme, Jg.3, H1., 1997, S.57-79.

[57] Siehe zu dieser genialen Metapher Luhmann 1984, S.226.

[58] Deswegen ist es für mich immer wieder ein Vergnügen, wenn in den weitsichtigen Science-fiction-Romanen etwa von Karl-Heinz Scheer Mutanten auftreten, die Telepathie beherrschen, aber diese Funktion in einem fort blockieren müssen, wenn Kommunikation angesagt ist.

[59] Es ist daran zu erinnern, daß sich selbst der Gott materialisieren muß, im Dornbusch oder als Christus, aber immer: irgendwie. Im übrigen muß der Körper nicht immer menschlich sein. Es genügt, daß einem undurchdringlichen Volumen interner Umgang mit sich selbst unterstellt werden kann. Anders würde die Ventriloquistik nicht funktionieren. Vgl. auch Fuchs, P., Kommunikation mit Computern?, Zur Korrektur einer Fragestellung, in: Sociologia Internationalis, H.1, Bd.29, 1991, S.1-30.

[60] Vgl. nur die Bände 132/133 (1996) der Zeitschrift "Kunstforum" mit dem Titel: Die Zukunft des Körpers I/II. Siehe auch die Beiträge in Funk, J./Brück, C. (Hrsg), Körper-Konzepte, Tübingen 1999.

[61] Siehe schon früh Luhmann, N., Symbiotische Mechanismen, in: Rammstedt, O. (Hrsg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt a.M. 1974, S. 107-131.

[62] Im übrigen werden in der Umwelt des Systems ungeheure Mengen an Körpern erzeugt, die sicherstellen, daß übergenug Leben und Bewußtsein zur Verfügung stehen.

[63] Siehe dazu, daß die Sinnform von Körpern in Anspruch genommen werden kann, Johnson, M., The Body in the Mind, The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago, London 1987.

[64] Siehe als Fallstudie die Arbeit über Japan in Fuchs, P., Die Umschrift, Zwei kommunikationstheoretische Studien, Frankfurt a.M. 1995.

[65] Siehe etwa Günther, G., Life as Poly-Contexturality, in: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd .II, Hamburg 1979, S. 283-306.

[66] Vgl. Fuchs, P., Die Erreichbarkeit der Gesellschaft, Zur Konstruktion und Imagination gesellschaftlicher Einheit, Frankfurt a.M. 1992.

[67] Es ist also kein selbst-repräsentatives System, das ein Element enthalten müßte, das alle anderen Elemente des Systems vollständig repräsentieren könnte. Siehe Royce, J., The World and the Individual, First Series, New York 1901 (1959). Vgl. auch einen Aufsatz von John C. Maraldo, der leider nur in japanischer Sprache erschienen ist (in: Shizuteru, U., Hrsg., Nishida Tetsugaku e no toi (Questioning Nishida´s Philosophy), Tokyo 1990, S.85-95) und deshalb von mir nach der englischen Manuskriptfassung zitiert wird: Maraldo, J., Self-Mirroring and Self-Awareness: Dedekind, Royce and Nishida.

[68] Zumindest unter der Bedingung einer europäisch geprägten Einheitssemantik des Bewußtseins.

[69] Sehr prägnant läßt sich dieser Vorgang an Systemen des body-processing vorführen, die zwar das Körperliche am Körper hervorheben und ausnutzen, dies aber nach Sinnprinzipien tun, die sozial (und nicht körperlich) ausgehandelt werden. Siehe dazu grundlegend Bette, K.-H., Systemtheorie und Sport, Frankfurt a.M. 1999 (hier S.58ff.).

[70] Das ist das, was Hahn, A., Eigenes durch Fremdes. Warum wir anderen unsere Identität verdanken?, in: Huber, J./Keller, M. (Hrsg.), Konstruktionen, Sichtbarkeiten, Interventionen 8, Wien - New York 1999, S.61-87, S.68, als "Ich-Fremdheit unseres Leibes" thematisiert.

[71] Fast so, als wären wir auf die aspekthafte, zerlegende Semantik der frühen Antike zurückgefallen - vielleicht mit dem Unterschied, daß auch der entseelte Körper nicht mehr die Leiche (das soma) ist.