Peter Fuchs
Die
Theorie der Systemtheorie – erkenntnistheoretisch
Wenn es um die Frage der Bedingung der Möglichkeit von (soziologischer) Erkenntnis geht und wenn diese Frage gerichtet wird an die Systemtheorie der Bielefelder Provenienz, dann erhält man ein Antwortpaket, in das verschiedene Motive und Aspekte der Theorie hineinverschlungen sind, die untereinander keine hierarchischen (deduktiven oder induktiven) Beziehungen unterhalten, sondern eher heterarchisch verknotet sind und eine Gemengelage darstellen, in der Führungswechsel leitender Motive vorgesehen sind und in der sich von jedem gerade führenden Motiv aus Re-Arrangements des Erkenntnisproblems ergeben. Deswegen ist jeder (durch Textualität erzwungene) Bau von Sequenzen, in denen bestimmte Theoriemotive auf bestimmte folgen und anderen vorangehen, eigentümlich künstlich. In einer Metapher, die keinen Anspruch auf große Tragweite erhebt, könnte man vielleicht sagen, daß diese Theorie holographisch oder hologrammatisch abgebildet werden müßte, aber vorab nicht so abgebildet werden kann. Alle folgenden Überlegungen sollten unter dieser Kautele gelesen werden.
I Historisch gesehen, startet die Systemtheorie, wie sie durch Niklas Luhmann ausgebaut und zum Teil neu entwickelt wurde, auf den ersten Blick als funktionalistische Theorie. Erst ein zweiter und genauerer Blick zeigt, daß diese Theorie selbst nicht die Eigenschaften eines wie immer gearteten Funktionalismus hat, sondern die funktionale Analyse als Methode reflektiert (also eine Theorie dieser Analyse liefert), die zentral an die Stelle zwischen Theorie und (Re)Konstruktion des Phänomenbereiches Sozialität plaziert wird unter Einschluß der Rekonstruktion der dies rekonstruierenden Theorie.[1] Funktionale Analyse ist, so gesehen, eine Theorietechnik, durch die das wissenschaftliche Abtasten von Differenzen, das der Informationsgewinnung dient, in eine besondere Form gebracht wird.[2] Mit anderen Worten (bezogen auf ein häufig vorzufindendes Mißverständnis): Die Theorie der Methode ist nicht identisch mit der Methode der Theorie.[3] Jene besondere Form ist gekennzeichnet dadurch, daß sie doppelt angreift: Das, was als vorkommend, als gegeben, als Realität behandelt wird, sieht sich dem Licht anderer Möglichkeiten ausgesetzt, es wird – in der modallogischen Bedeutung dieses Wortes – kontingent gesetzt, es unterliegt der Strategie einer Virtualisierung.[4] Damit verknüpft wird der Versuch, Verschiedenes und Verschiedenartiges in einen Horizont der Vergleichbarkeit einzurücken. Was immer im Fokus des Erkenntnisinteresses steht, wird dann auf Problemgesichtspunkte bezogen, durch die sich verschiedene Problemlösungen des Problems in eine Reihe funktionaler Äquivalente stellen lassen.[5] Das Schema Problem/Problemlösung ist aber nicht in die Luft gebaut, es ist direkt bezogen auf „Problem-Systeme (bzw. Systemprobleme)“.[6] Es macht nur Sinn, von Problemen zu reden, wenn sie als strukturgenerierende Momente von Systemen aufgefaßt werden können, deren Kombinationsspielräume für Ereignisse (Strukturen) bzw. Selektivitätverstärkungseinrichtungen (Prozesse) als Problemlösungen (also funktional) zu thematisieren sind. Das System-im-Brennpunkt, heißt das, de-arbitrarisiert die Problemkonstruktion. Es offeriert dem Beobachter nicht beliebige, sondern spezifische Ereignisverkettungen, und die Rekonstruktion dieser Spezifik setzt funktionale Analyse als Methode voraus.[7] Dabei geht es kaum darum, ‚wirkliche‘ Kausalitäten zu ermitteln (das ist eigentlich seit Kant ausgeschlossen), sondern darum verschiedene, funktional äquivalente Kausalattributionen zu vergleichen, mithin die Schemata Problem/Problemlösung, Kontingenz/Notwendigkeit und Ursache/Wirkung im Schema des Vergleichs zu kombinieren.[8] Die Theorie liefert, wenn man so sagen darf, das begriffliche Arsenal, mit dessen Hilfe Problemkonstruktionen arrangiert werden. Es ist ein Unterschied für Problemdefinitionen, ob eine Theorie mit der System/Umwelt-Differenz arbeitet und auf die Seiten der Differenz bewußte bzw. soziale Systeme so verteilt, daß sie gegeneinander geschlossen und ausschließlich Insider-ihrer-selbst sind, oder ob sie Systeme ansetzt, die neben Kommunikation und Handlung auch noch Bewußtsein enthalten und als diese Gesamheit Bestandserhaltungsprobleme regulieren müssen.[9] In dem einen Fall geht es um die Stabilisierung einer Differenz zwischen ereignisbasierten Systemen, die von einem Ereignis zu einem anderen Ereignis (in der Weise einer creatio continua) kommen müssen, in dem anderen Fall um die Stabilisierung eines Systems. Und je nachdem, wie theoretisch optiert wird, entscheiden die theoretischen Rahmenbedingungen, ob Begriffe wie strukturelle Kopplung und Autopoiesis zum Ausgangspunkt der Problemkonstruktionen werden oder nicht. Entscheidet man sich beispielsweise für strukturelle Kopplung, werden Medien, in denen gekoppelt wird, vergleichbar (Sinn? Sprache? Körperverhalten? Musik etc.?), und im Vergleich ergeben sich instruktive Limitationen oder Unterschiede (Musik eher selten, Sinn immer, Sprache meistens, Körperverhalten unter Sonderbedingungen etc.). Die Bewandtnisse der je beobachteten Medialitäten wirken zurück auf die Vergleichsmöglichkeiten und lassen Spezifikationen zu: Musik koppelt kaum über artikulierte Fremdreferenzen, Sprache aber nahezu ausnahmslos – es sei denn im Falle moderner Lyrik, die Fremdreferenz minimalisiert, und eben deshalb werden Musik und Lyrik vergleichbar bzw. wird die Oper ein instruktiver Sonderfall. Funktionen sind aus dieser Sicht „Vergleichsdirektiven“.[10] Die funktionale Methodologie der Systemtheorie überfordert mit der damit erforderlichen Unterstellung von Freiheitsgraden im Gegenstandsbereich systematisch ihre Objekte mit Kontingenzbeobachtung und wird genau an dieser Stelle auf sich selbst als Theorie verwiesen, die es lernen muß (oder sogar dadurch gekennzeichnet ist), eine selbstreferentielle Theorie selbstreferentiell angesetzter Gegenstände zu sein. Es geht – ganz klassisch – darum, daß die Theorie Unterscheidungen liefert, die zentral auf Komplexität bezogen sind und daß sie Komplexität (als Letztbezugsproblem[11]) in den Gegenstand, den sie wählt, projiziert, das heißt: zugleich durch sich selbst aufbaut. Und erst in dieser Wendung, die Erkenntnis und Gegenstand als Zusammenhang oder Einheit eines Problems begreift, kann mit Luhmann formuliert werden, daß „die funktionale Methode über eine bloße Methodenentscheidung hinaus (geht) und beansprucht, Theorie der Erkenntnis zu sein.“[12] Damit ordnet sich die funktionale Analyse als Methode dem systemtheoretischen (und durch Luhmann forcierten) Grundzug der De-Ontologisierung von Erkenntnis zu und insoweit dem weiteren Paradigma des Konstruktivismus.
II De-Ontologisierung ist aber nicht gleichbedeutend damit, Erkenntnismöglichkeiten im klassischen Sinne schlechthin zu bestreiten. Damit würde sich diese Theorie aus der Wissenschaft katapultieren. Stattdessen wird eine Minimalontologie eingeführt, die ich oben schon zitiert habe, nämlich die der dezidiert naiven Präsupposition der Existenz von realen Systemen in einer realen Welt, die – nachdem mit ihr gestartet wurde – einer Post-festum-Entnaivisierung unterzogen wird.[13] Dieser Ausgangspunkt führt zu der verblüffend einfachen Konsequenz, daß Erkenntnis zurückgebunden wird an Beobachter (eben: informationsverarbeitende Systeme), die exklusiv Beobachtungen und Beschreibungen anfertigen, von denen einige als erkenntnisorientierte Beobachtungen und Beschreibungen imponieren. Exklusiv, das will besagen, daß die Umwelt keine Erkenntnisse enthält. Die Umwelt eines Systems mag weitere Systeme ‚enthalten‘, für die aber dasselbe gilt, daß sie es sind, die beobachten und beschreiben, und: daß ihre Umwelt erkenntnisfrei ist, insofern und weil sie nichts unterscheidet und bezeichnet, nicht einmal sich selbst. Ohne solche unterscheidenden und bezeichnenden Operationen wäre nicht einmal ein System ein System, es verbliebe unbeobachtet, wäre also in einem Unzustand, und gerade das liefert den Grund, von existierenden Systemen auszugehen und nicht von einer Welt, in der Erkenntnis frei flottiert.[14] Und im übrigen könnte man nicht einmal Welt bezeichnen ohne eine Bezeichnungsleistung, die einen Beobachter voraussetzt, der (mit Ausnahme Gottes) ein System ist. Erkenntnis ist, wie man deshalb sagen kann, prinzipiell ein Insider-Phänomen, insofern sie an Beobachtern hängt und insoweit man nicht umhinkommt, zu unterstellen, daß Beobachtungs- und Beschreibungsoperationen in Systemen vollzogen werden. Das bedeutet auch (und in typisch zirkulärer Manier), daß die System/Umwelt-Unterscheidung selbst „eine erkenntnisleitende Operation“ ist.[15] Und: daß Erkenntnistheorie nur als operative Erkenntnistheorie formuliert werden kann, weil sie unterscheiden (!) muß zwischen Operationen, die als Erkenntnisoperationen signiert werden, und allen anderen Operationen, durch die sich Sinnsysteme reproduzieren. Erkenntnisoperationen sind demnach als Erkenntnisleistungen indizierte Operationen, sie müssen eigens markiert werden und fallen keineswegs beiläufig an. Sie lassen sich nur als Bezeichnungen beobachten, die im Rahmen von Unterscheidungen besonderer Art situiert sind, die unterschieden werden müssen, damit diese besondere Art gesehen und zu weiteren Anschlüssen verwendet werden kann.[16] Genau dafür wird in der Systemtheorie des Zuschnitts, die wir hier diskutieren, der Ausdruck Beobachtungsoperation der zweiten Ordnung verwendet. Der Satz „Die Erde kreist um die Sonne“ ist, wenn er geäußert wird, nur dann ein auf Erkenntnis bezogener Satz, wenn er ausgestattet ist mit der Referenz darauf, daß er wahr oder unwahr sein könnte.[17] Dabei kommt es nicht im mindesten darauf an, ob Sätze wahr oder nicht wahr sind (sonst gäbe es keine Irrtümer, die durch weitere Operationen als falsche Erkenntnisse behandelt werden könnten), sondern nur darauf, daß die Beobachtung (Die Erde kreist ...) als eine unterschieden (beobachtet) wird, die unter dem Gesichtspunkt von Wahrheit/Unwahrheit thematisierbar wäre, wenn und insofern sie Unsicherheit evoziert. Erkenntnis als Operation wird auf diese Weise in den Anschluß (Beobachtung als Erkenntnis durch weitere Beobachter, für die dasselbe gilt) ‚verschoben‘.[18] Sie justiert sich nicht an ‚Gültigkeiten‘, die durch Approximation an ‚Sachverhalte‘, an ein Wesen oder Sein gewonnen werden, wie es Assimilations-, Korrespondenz- und Repräsentationstheorien versucht haben, indem sie Erkenntnis und ihren Gegenstand prinzipiell trennten. Darin koinzidieren systemtheoretische Überlegungen mit epistemologischen Einsichten, die die Konstruktion der Welt an die Vernetzung von Beobachtungen binden, die keinen Außenhalt haben. Beispiele dafür wären die Saussuresche Linguistik, die Dekonstruktion Derridas oder die Quantenphysik, die ersichtlich angesiedelt ist auf der Beobachtungsebene zweiter Ordnung.[19] Fremdreferenz (das Außen) wird, so könnte man diese Entwicklung bündeln, im System erwirtschaftet. Außenhalte sind Konstrukte systemischer Beobachter, die Fremdreferenz auf der Innenseite des Schemas Fremd/Selbstreferenz bezeichnen. Sobald diese Unterscheidungs- und Bezeichnungsleistung erkenntnisorientiert vollzogen wird, erscheint das Ausgangsschema (Fremd/Selbst) als das Schema Erkennen/Erkanntes,[20] dessen Raffinesse darin besteht, daß die Einheit des Schemas (Erkennen) im Schema auftaucht.[21] Erkennen ist die Projektion dieser Differenz oder in etwas anderer Formulierung: die Einheit von Erkenntnis und Gegenstand. Und wie beim Zeichen (signifiant/signifié oder Bezeichnendes/Bezeichnetes) ist die Seite des Bezeichneten (des Erkannten, des Gegenstandes) keine schema-externe Größe, die in der Welt darauf wartet, benannt oder erkannt zu werden. Niklas Luhmann legt größten Wert darauf, daß diese Einsicht nicht als Arbitrarität von Erkenntnis ausgelegt wird. Das wäre nur dann der Fall, wenn es singuläre Erkenntnisoperationen gäbe (das wäre eine Paradoxie) und wenn es nicht um im System vernetzte, vom Typ baugleiche Operationen ginge, die sich wechselseitig im Blick auf das Erkannte limitieren. Diese Limitation gelingt offenbar in der Moderne nur noch auf dem Hintergrund der operativen Schließung des Wissenschaftssystems, dessen binäre Codierung (wahr/unwahr) laufend referabel ist: als Leitunterscheidung eines Systems, das Erkenntnis nur noch selbst codiert und in die Form von Theorien und Methoden bringt.[22] Der dadurch aufblendbare Zusammenhang interessiert hier aber weniger als die Frage, was mit der klassischen Unterscheidung dessen, was als Gegenstand der Erkenntnis gilt, geschieht, wenn der Gegenstand aus der vorausgesetzten Welt in Systeme fällt, die ihn nicht mehr als erkenntnis-extern behandeln können.
III Die These ist, daß der klassische Gegenstand, das Phänomen, der Sachverhalt etc. neu konditioniert wird. Er ist nicht mehr das Objekt (das Entgegengestellte eines Subjektes), kein Moment einer auch beobachtungsfrei noch irgendwie existierenden Welt, die auf den Kuß des Prinzen wartet, der sie in die Form des Beobachteten bringt. An diese Stelle tritt eine weitere beobachtungsdirigierende Unterscheidung, nämlich die von Medium und Form.[23] Sie ist, wenn man sie wie Luhmann aus wahrnehmungspsychologischen Kontexten herauspräpariert, eine außerordentlich komplexe Unterscheidung, und zwar allein schon aus dem Grunde, daß sie nur als Unterscheidung Sinn macht, die es ermöglicht, die eine oder andere Seite zu bezeichnen, nicht aber als eine Zusammenstellung von Unterscheidungsseiten begriffen werden kann, die unabhängig voneinander thematisierbar wären.[24] Es gibt weder Medien noch Formen, keine lose gekoppelten Mengen von Elementen, die ohne Form als Medium imponieren, und keine Formen, die ohne Medien als Form auffallen könnten. Und zugleich gilt, daß sie eine Unterscheidung (also Werkzeug eines sinnorientierten Beobachters) ist, und nicht: ein dem Korb der Welt entnommener und dann nur noch bezeichneter Unterschied. Dieses Schema wirkt mithin nolens volens de-ontologisierend, obgleich mit ihm etwas und nicht nichts gesehen wird. Will man die Form dieses beobachtungsleitenden Schemas näherhin bestimmen, fallen folgende Merkmale auf:[25]
Wenn man ausgeht von jener Minimalontologie, die – weil Beobachten geschieht – Systeme voraussetzt, die Operationen des Beobachtens durchführen, dann findet man zunächst (wenn auch nur in gewisser Weise) die klassische Idee des Gegenstandes, der der Erkenntnis gegenüberliegt, bestätigt. Jeder Beobachter sieht Formen (nicht: Medien). Noch genauer: Er residiert immer auf der Innenseite der Medium/Form-Unterscheidung. In anderer Formulierung: Er registriert immer etwas.[29] Oder noch anders: Nur von der Innenseite dieser Unterscheidung aus (die die re-entry-Seite ist, wenn man auf räumliche Assoziationen verzichten will) werden Anschlüsse/Nachträge erarbeitet, und zwar (das ist die eigentliche Denkschwierigkeit) gleichgültig, ob man die eine oder andere Seite irgendeines Schemas bezeichnet. Die Sicht ist immer geformt und niemals: chaotisch.[30] In Parallelargumentation zu Theoremen der second order cybernetics könnte man sagen, daß der Gegenstand (das Ding, das Gegenüber) auf der Erkenntnisebene erster Ordnung illuminiert wird. Dies drückt sich unter anderem im Wort Realität selbst aus, das in der Form real seit dem 17. Jahrhundert auftaucht, im Mittellateinischen realis soviel wie ‚wesentlich‘ bedeutet und natürlich zurückführt auf res: die Sache, das Ding. Die Welt erscheint als Welt des Dinghaften und des Ding-Analogen, als universitas rerum, in der die Unvermeidbarkeit des Antreffens von Formen in die Form der Ontologie gebracht wird. Eben deshalb wird die Operation der Erkenntnis dualisiert: als adaequatio von Gegenstand und Einsicht etwa im Sinne des Aquinaten. Es kann dann logische Widersprüche geben, die auf der Seite des Intellekts auftreten, oder Widersprüche zwischen den Dingen (Realrepugnanz), aber immer ist der Beobachter konfrontiert mit der Frage, ob er die Realität richtig oder falsch beurteilt.[31] All dies kann, cum grano salis genommen, zu erheblichen Komplexitätsgewinnen führen. Man kann Pumpen konstruieren, Metaphysik inszenieren, Sonnenfinsternistermine exakt berechnen, Pyramiden und Steinwälle punktgenau ausrichten. Aber es ist offensichtlich, daß dabei kein eigenes, ausschließlich auf Erkenntnis spezialisiertes System entsteht, das scharfe Grenzen zu anderen Systemen unterhält und ein Funktionsmonopol realisiert, das ausschließt, daß irgendwo sonst im Felde des Gesellschaftlichen etwas Erkenntnisförmiges legitim formuliert werden koennte.[32] Vielleicht kann man sagen, daß in der Antike wie im europäischen Mittelalter[33] hoch getriebene Komplexität im Blick auf Erkennen anfiel, aber dabei kein nur auf Erkenntnis eingestelltes, autopoietisch geschlossenes System Wissenschaft zustandekam. Ein System dieses Typs (eben: Wissenschaft) differenziert erst im Moment aus, in dem es gelingt, die Unterscheidung von Erkenntnis und Gegenstand als Unterscheidung zu beobachten, sie also auf der Beobachtungsebene zweiter Ordnung als Einheit, als Form zu behandeln. Der Gegenstand wird aus der Position der Externalität genommen, er ist nicht mehr ausschließlich und mehr und mehr überhaupt nicht mehr: Angelegenheit einer der Erkenntnis korrespondierenden Phänomenalität. Er wird weniger ‚mediatisiert‘ als ‚mediumisiert‘. Die Frage danach, ob etwas und wie etwas ETWAS sei und ob dieses ETWAS ein So-Sein habe, das mit Sätzen (Begriffen), die über es reden, zumindest entschiedene Ähnlichkeit aufweise, wird irrelevant.[34] Erkenntnis als Operation schreibt stattdessen dem prinzipiell kontingenten Verhältnis von Medium und Form Limitationen ein, und zwar dadurch, daß sie bestimmte engere Kopplungen zwischen medialen Elementen begünstigt und anschlußfähig hält und dabei anders mögliche Kopplungen ausschließt, zum Beispiel Glaubenssätze oder Dogmen oder ästhetische Begründungen. Wissenschaft baut sich in diesem Sinne tatsächlich selbst auf, sie steuert sich nicht an einer vorausgesetzten Welt oder an vorausgesetzten Weltdingen aus, und deswegen wird es möglich, Erkenntnis sogar über prinzipiell Unsichtbares zu produzieren, über kleinste Kleinheiten, größte Größen und über Latenzen, die in Systemen, denen sie zugerechnet werden, Struktureffekte haben, obwohl weniger gewiß ist als dies: daß Latenz von Beobachtern konstruiert wird, also keinen Weltsachverhalt darstellt, über den zu reden unabhängig vom Beobachter Sinn machen würde. Gerade dies ist ein deutlicher Beleg dafür, daß die Wissenschaft (als autopoietisch geschlossenes System) nicht mehr auf durch Wahrnehmung kontrollierbare Evidenzen angewiesen ist.[35] Zugleich zeigt sich, daß die Theorie, die dies behauptet und sich selbst einordnet in das System Wissenschaft, das sie beschreibt, selbstreferentiell organisiert ist. Sie substituiert die klassisch angesetzte Frage nach dem Ding und seiner erkenntnisförmigen Repräsentation durch die Konstruktion eines Problems, im Blick auf das verschiedene Lösungen vergleichbar werden (Äquivalenzfunktionalismus) – und entdeckt sich dabei als Konstukteurin, die in eine der Lösungen, die sie konstruiert, selbst eingebettet ist. Dabei sieht sie die Bedingungen der Möglichkeit ihres Sehens (das heißt: die systemischen Limitationen von Erkenntnis) noch mit. In der Sprache Niklas Luhmanns: Sie erreicht die Beobachtungsebene dritter Ordnung. Sie sieht sich plötzlich der (noch weitgehend ungeklärten Möglichkeit) ausgesetzt, Unterscheidungen nicht nur beobachten zu können, sondern die Form des Unterscheidens selbst einkalkulieren zu müssen. Mitte der Achtziger Jahre wird jedenfalls die Systemtheorie mehr und mehr angereichert mit differenz- und beobachtungstheoretischen Komponenten. Alles in allem genommen, beginnt sie (und ist darin nichts weniger als zu einem Abschluß gekommen), die Konstruktion ihres Erkenntnisgegenstandes, der ja ohnehin kein klassischer oder cartesischer Gegenstand, kein erkenntnisexternes Objekt war, umzustellen auf zwei Einsichten: Sie hat es nur mit Differenzen zu tun, und sie hat es ausschließlich mit beobachteten Differenzen zu tun. Das zwingt mehr und mehr dazu, sich der ‚Logik der Differenz‘ anzunehmen – das dann auf einer Bandbreite, die Namen wie etwa Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Gotthard Günther und vor allem George Spencer-Brown versammelt. Betroffen ist die Mitte der Theorie selbst, der Begriff des Systems, der zwar immer schon als Begriff eines Unterschiedes ventiliert wurde (System und Umwelt), jetzt aber als Einheit einer Differenz begriffen wird, ein Vorgang, der sich darin ausdrückt, daß das ‚und‘ zwischen System und Umwelt ersetzt wird durch die Barre ‚/‘ des terms: System/Umwelt. Das System ist weder die eine noch die andere Seite dieser Unterscheidung, sondern die Einheit, die ohne die beiden Seiten keine Einheit wäre, aber die als Einheit diese Seiten erst inszeniert – in einem Zuge. Das System residiert in der Barre, aber – und das ist entscheidend – die Barre ist kein Objekt, und sie ist auch nicht die Bezeichnung eines Objektes. Sie ist das Zeichen für eine vom Beobachter zerlegte Einheit, der das, was er beobachten will (das System), nicht als Einheit zu Gesicht bekommt, sondern nur als eine Differenzseite, also – wenn man so will – immer nur und aufhebbar: fragmentarisch.[36] Er sieht die Form (das System) und nicht die Nicht-Form (die Umwelt), und das läßt sich zusammenschließen mit dem Befund, daß Beobachter immer auf der Innenseite der Form arbeiten – und das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß der Beobachter im Moment, in dem er Beobachter bezeichnet, Systeme vorfindet, sich selbst dabei einschließend auf der Innenseite der Form des Systems: System/Umwelt.[37] Das ‚Unjekt‘ System (die Einheit der Unterscheidung) fällt dabei aus jeder möglichen Beobachtung heraus.[38] Dies alles würde nahelegen, zu behaupten, daß die Thematisierung von Unjekten (als empirischen Unzugänglichkeiten) füglich der Philosophie zu überlassen wäre. Es scheint sich um wissenschaftlich müßige Überlegungen zu handeln, die allenfalls geeignet sind, die beliebte Metapher vom ‚Glasperlenspiel‘ ein weiteres Mal zu revitalisieren. Dem läßt sich aber entgegenhalten, daß Theoriearbeit typisch (wenn sie denn gelingt) zu begrifflichen Arrangements und dadurch ermöglichten Distanzierungsgewinnen führt, die als Anleitung zu neuartigen (informativen) Problemkonstruktionen aufgefaßt werden können.[39] Die differenz- und beobachtungstheoretischen Komponenten der neueren Systemtheorie lösen den Äquivalenzfunktionalismus nicht auf; im Gegenteil: Sie ordnen sich ihm als feinste Verfeinerungen der Möglichkeit unter, Problemkonstruktionen so anzulegen, daß die erkenntnistheoretische Blockade des cartesischen Typs unterlaufen wird. Die Theorie bleibt – in dieser Hinsicht – bei sich selbst, und dies, obwohl von Einheit auf Differenz umgestellt wird. Die Konsequenzen dieser Umstellung sind jedoch dramatisch.
IV Zunächst entdeckt die Theorie ihre systematische Unvollständigkeit. Das ist auf den ersten Blick nicht sonderlich neu, insofern die Einführung der Theorie des Beobachters in die Systemtheorie sofort deutlich werden ließ, daß das Beobachtungsinstrument selbst (die Theorie) wie jede andere Unterscheidungs- und Bezeichnungsleistung sich nicht vollständig beobachten und beschreiben kann, und sei es nur, weil die aktuelle Beobachtungs- bzw. Beschreibungsoperation als Operation das ‚System‘ kontinuiert, also ‚aufbläst‘ und weiteres ‚Aufblasen‘ erzwingt, wenn sie überhaupt als Operation gelten soll.[40] Ferner (auch das ist schon oft festgehalten worden) ist jede Beobachtungsleistung selbstblind, insofern sie die Unterscheidung, die sie nutzt (in deren Rahmen sie bezeichnet) nicht mitbezeichnen kann, ohne sich verdoppeln zu müssen. Hinzu kommt aber, daß das ‚Objekt‘ der Theorie, das ihr den Namen gibt (Systemtheorie), als intern verschachtelte Differenz, als die es sich jetzt beobachten läßt, ‚verschluckt‘ wird. Das System wird zu einer Abbreviatur für eine Einheit, die sich nicht beobachten läßt und sich zu beobachten gibt nur als Hälftigkeit, als die eine Seite der Unterscheidung, deren Einheitsbegriff das System ist. Mit der Bezeichnung ‚System‘ (und mit an dieser Seite anschließenden Analysekaskaden) simplifiziert die Theorie ihre eigenen Abstraktionsmöglichkeiten. Sie baut einen Zurechnungspunkt. Mit einer Metapher, die Niklas Luhmann in einem punktgenauen Analogon (nämlich im Blick auf die Simplifikation von Kommunikation durch Zurechnung auf Handlung) gebraucht hat, könnte man sagen: Die Theorie ‚flaggt‘ sich als Theorie des Systems aus und gewinnt in diesem Ausflaggen Ordnung, Struktur, Führung, aber kommt nicht umhin, zu bemerken, daß sie sich dabei auf der Innenform der Form System situiert, als wäre das System genau nicht: die Einheit der Differenz System/Umwelt, mithin im präzisen Sinne ein Unjekt. Das
ist der Grund dafür, daß die Medium/Form-Differenz in Prozessen der
Theoriebildung mehr und mehr an Prominenz gewinnt. Medium/Form und
System/Umwelt werden zwar nicht je füreinander substituierbar, aber sie
werden, wenn man so sagen darf, in ein Verhältnis wechselseitiger Dauerinstruktion gebracht. Unter Hinzuziehung des
Spencer-Brownschen Formkalküls wird es möglich, das System als
Zweiseiten-Form aufzufassen, und das heißt, es als Gegenstand nur noch in
durchkreuzter Nennung ( Auf der Ebene der Theoriearbeit selbst zeigt sich aber, daß eine Theorie der Systemtheorie gedacht werden kann, in der der Systembegriff nicht mehr als Abschlußbegriff fungieren muß. Er wird in seiner Metaphorizität sichtbar, als ein ‚Leiter-Begriff‘ von Wittengensteinscher Art, oder – in naheliegender Diktion – als Problembegriff, der als Vergleichsdirektive wirkt und mit dem sich eine Reihe von äquivalenten Unterscheidungen eröffnen läßt, deren Vergleich zu neuen Instruktionen führt, zum Beispiel die Reihe: System/Umwelt, Medium/Form, Zweiseiten-Form/unmarked space, unmarked space/marked space, unmarked state/marked state. Erahnbar wird, daß durch die Vergleichsleistungen Begriffe reformuliert werden müssen, die räumlich assoziiert sind, etwa strukturelle Kopplung, Geschlossenheit, Offenheit, oder Begriffe, die einen internen Betriebsmodus bezeichnen wie Autopoiesis. Erahnbar wird auch, daß die Zentralantagonisten der soziologischen Systemtheorie, Sozialsystem und Bewußtsein, ihre Isolierbarkeit verlieren, ihren Ort, ihren Selbststand. Sie wären nicht mehr begreifbar als Objekte-an-Stellen, als Lokalisierbarkeiten, sondern würden mit neuen Theoriemitteln, die noch zu ersinnen sind, bearbeitet werden müssen.[42] All das geschähe (und davon ist die ganze Zeit die Rede gewesen) in der Wissenschaft als für sie typische Steigerung und Reduktion von Komplexität – als Erkenntnisproduktion as usual.
[1] Ich beziehe mich im weiteren auf Luhmann, N., Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984, S.83ff. et passim. [2] Als Technik sei sie, sagt Luhmann, a.a.O., S.83, mit der Mathematik vergleichbar. [3] In gewisser Weise kann man sagen, daß die funktionale Analyse die Methode ist, mit deren Hilfe die Theorie die ‚Erzählungen‘ generiert, die sich (im Unterschied zu ihr selbst) testen lassen. Siehe dazu Fuchs, P., Theorie als Lehrgedicht, in: Pfeiffer, K.L./Kray, R./Städtke, K. (Hrsg.), Theorie als kulturelles Ereignis, Berlin – New York 2001, S.62-74. [4] Der wichtige Punkt ist: Die Analyse hat die Form von Sinn (welche sonst?), aber im Moment des Setzens anderer Möglichkeiten wird die Form von Sinn auf sich selbst angewandt. [5] Aufklärungsbedürftig ist dann das WAS dieses Erkenntnisinteresses. In der älteren Form der neueren Systemtheorie ist die Antwort, daß es um wirkliche Systeme geht, die durch erkenntnistheoretische Zweifel nicht tangiert werden. Vgl. Luhmann, a.a.O., S.30. Später (und wir kommen darauf zurück) wird die Figur des re-entry, die dem Kalkül Spencer-Browns abgewonnen wurde, in eben dieser Hinsicht wichtig, mit ihr zugleich die der Beobachtung, die das System erzeugt, das Beobachtungen erzeugt. Vgl. jedenfalls Fuchs, P., Die Metapher des Systems, Studien zur allgemein leitenden Frage, wie sich der Tänzer vom Tanz unterscheiden lasse, Weilerswist 2001. [6] Luhmann, a.a.O., S.84. [7] Natürlich können Beobachter beliebige Unterscheidungen benutzen, also zum Beispiel Hausfrauen unterstellen, daß sie ein falsches Bewußtsein ihrer Lage hätten, aber das Management von Anschlüssen würde dann sehr schwierig und unkontrollierbar. Man könnte demnach sagen, daß das System den Beobachter (der es selbst sein kann) kontrolliert und nicht umgekehrt. [8] Siehe dazu schon früh Luhmann, N., Funktion und Kausalität, in ders., Soziologische Aufklärung Bd.1, Opladen 1970, S.9-30. Vgl. ferner als umfangreiche Diskussion Schneider, W.L., Objektives Verstehen, Rekonstruktion eines Paradigmas: Gadamer, Popper, Toulmin, Luhmann, Opladen 1991, vor allem S.199ff. et passim. [9] Den Schluß dieses Aufsatzes vor Augen müßte man hier schon sagen: oder ob sie die System/Umwelt-Differenz durch anders mögliche Differenzen ersetzt. [10] Luhmann 1984, a.a.O., S.87. [11] Als Problem, das als äußerste Abstraktion gewonnen wird. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt der Transzendentalisierung des ultimaten Bezugsproblemes auch Schneider, a.a.O., S.206. [12] Luhmann 1984, a.a.O., S.90. [13] Vgl. dazu Luhmann, N., Erkenntnis als Konstruktion, in: Jahraus, O. (Hrsg.), Niklas Luhmann, Aufsätze und Reden, Stuttgart 2001, S.218-239. [14] Luhmann, a.a.O., S.223. Im übrigen ist die Figur nicht ganz so naiv, wie man vermeinen könnte. Sie ist nahezu formgleich mit dem ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury und schließt darin an eine starke philosophische Tradition an. [15] Luhmann, a.a.O., S.224. [16] Vgl. dazu auch Brosziewski, A., Die Beobachtung der Macht. Zum Verhältnis von Macht, Wahrheit und Intelligenz, Ms. St. Gallen 2001 (zur Publikation in: Das System der Politik, hrsg. von Kai-Uwe Hellmann, Harald Bluhm und Karsten Fischer, Opladen 2001). [17] Dieser Satz etwa ist unwahr für einen Beobachter, der für wahr hält (als wahr markiert), daß die Erde nicht kreist, sondern ‚ellipst‘, oder für einen Beobachter, der (wie ich) der Auffassung huldigt, daß der Satz eine Subjekt/Objekt-Struktur impliziert, die so tut, als könne die Erde etwas tun, etc. [18] Und zwar auf immer und ewig, also abschlußfrei, solange es sinnorientierte Beobachter gibt. [19] Vgl. dazu auch die erste Vorlesung in Fuchs, P., Das Weltbildhaus und die Siebensachen der Moderne, Konstanz 2001. [20] Wobei es sich schickt, daß diese Unterscheidung baugleich solchen Schemata ist wie signifiant/signifié oder Bezeichnendes/Bezeichnetes etc. [21] Das Schema ist also der System/Umwelt-Unterscheidung isomorph, für die ja auch gilt, daß die Einheit des Schemas das System ist. [22] Vgl. Luhmann, N., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990. [23] Der historische Referenztext auch für Niklas Luhmann ist Heider, F., Ding und Medium, in: Symposion. Philosophische Zeitschrift für Forschung und Aussprache 1, 1926, S.109-157. Vgl. zur Anwendung in der modernen Systemtheorie für viele Texte Luhmann, N., Das Kind als Medium der Erziehung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg.37, H.1, 1991, S.19-40; Luhmann, N., Das Medium der Kunst, in: Delfin 4, 1986, S.6-15. Siehe auch Fuchs, P., Der Mensch — das Medium der Gesellschaft?, in ders./Göbel, A. (Hrsg.), Der Mensch — Das Medium der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1994, S.15-39. [24] Würde man sich nur mit einem Medium beschäftigen, fiele unvermeidbar die Frage nach der Form des Mediums an, et vice versa. [25] Ich orientierte mich im weiteren ohne Einzelnachweise an Luhmann, N., Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1995, S.165ff. et passim. [26] Luhmann, a.a.O., S.168. [27] Deswegen ist es wichtig, im Spencer-Brownschen Kalkül sorgfältig auf die Leistung der Indication zu achten oder in Luhmannscher Diktion auf die Bezeichnungsleistung, durch die ein Unterscheiden evoziert wird und die – gleich auf welcher Seite sie vollzogen wird, immer auf die Innenseite trifft – durch die Markierung einer Form. [28] Deswegen sind Medienkatastrophen interessant, etwa der Fall, daß ein Film zu langsam läuft oder zu schnell, so daß die Formen kollabieren. Vgl. dazu Fuchs, P., Die Beobachtung der Medium/Form-Unterscheidung, Ms. Meddewade 2001. [29] Ein uralter Topos, der – bezogen auf Bewußtsein – als Intentionalität formuliert ist, im Blick auf Kommunikation als Kommunikabilie oder Thematizität. Im platonischer Sophistes (237a-e) findet sich: légein = légein tí — Sagen ist Etwas Sagen. Parmenides weist als erster auf die Intentionalität des Denkens hin (dóxai — dokoûnta — Annehmen/Angenommenes). Vgl. Thanassas, P., Die erste „zweite Fahrt“, Sein des Seienden und Erscheinen der Welt bei Parmenides, München 1997, S.45f. Vor Brentano und Husserl findet sich der Topos komplex ausgearbeitet bei Hegel. Siehe dazu Kress, A., Reflexion als Erfahrung, Hegels Phänomenologie der Subjektivität, Würzburg 1996, S.33ff. et passim. [30] Deswegen löst das Amorphe Angst aus. Siehe für einen drastischen Fall Benthien, C., Häutungen. Folter – Enthüllung – Gestaltwandel. Zur Kulturgeschichte einer ‚Entdeckung‘, in: Paragrana 6, 1997 (1), S. 197-217. Ich vermute, daß das Unterscheidungslose in der sophischen Lehre von den Adiaphora als das sittlich nicht Bezeichenbare auftaucht, als Indifferenz, aber das wäre zu prüfen unter Hinzuziehung der spannenden (ethikbezogenen) Auseinandersetzung im Adiaphoristenstreit des 16. Jahrhunderts. [31] Er ist ein T(ertium)-N(on)-D(atur)-Beobachter. Vgl. Fuchs, Konstanz 2001. [32] Ich erinnere daran, daß die Ausdifferenzierung der Universitäten im 13. Jahrhundert nicht bedeutete, daß der Glaube aus Erkenntnisprozessen ausgeschlossen wurde. Die bedeutendste Universität (die von Paris) hatte einen Kanzler, den der Papst stellte, und zur Mitte des Jahrhunderts waren die bedeutendsten Lehrer der Philosophie und der Theologie Bettelmönche oder ihnen zumindest eng assoziiert. [33] Und in China und in Japan und in Indien etc.pp. [34] Und gefährlich für das System, das ja beendbar wäre, wenn es mit der richtigen Bezeichnung einer endlichen Zahl von Objekten zu tun hätte. [35] Im übrigen ist gerade unter empirisch arbeitenden Wissenschaftlern die Auffassung weit verbreitet (ja geradezu ein Gemeinplatz), daß die theoretischen Modelle darüber befinden, was als Ergebnis jeder Untersuchung zustandekommt. Es gibt keine Schichten, Rollen, keine Systeme – außer für Beobachter, die diese Unterscheidungen benutzen und konditionieren. Typisch ist auch, daß die Sorge der Reifikation oder der Hypostasierung eigentlich alle redlichen Wissenschaftler umtreibt. [36] Das ist einer der Gründe dafür, warum man die Systemtheorie immer wieder in das Denkmodell der Frühromantik einordnet. [37] Also noch einmal: Wir müssen davon ausgehen, daß es Systeme gibt, weil Beobachtungen beobachtbar sind. [38] Vgl. zu diesem Sprachgebrauch Fuchs, Die Metapher des Systems, a.a.O. Dieses Herausfallen bedeutet nicht, daß man nicht die eine bzw. andere Seite der Unterscheidung zeittechnisch ansteuern könnte, durch Oszillation, aber das heißt dennoch immer: niemals die Einheit selbst. [39] Das Neue kann man nicht suche, es stellt sich sozusagen am Rande ein, als Nebeneffekt eines Denkens/Kommunizierens, das Komplexität steigert – auf Teufelkommraus. Vgl. dazu (wenn ich auch nicht alle Thesen teile) Rheinberger, H.-J., Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsysteme im Reagenzglas, Göttingen 2001. [40] Die Theorie ist, um es vorsichtshalber zu sagen, so wenig ein System wie etwa Sprache oder Musik, aber im Moment, in dem sie betrieben wird, fällt das Problem der Vollständigkeit an. [41] Und nicht nur mit den pragmatischen Zwängen eines projektorientierten Wissenschaftsbetriebes, sondern mit der Unmöglichkeit der Perfektion von Theorien. [42] Eines dieser Mittel wäre das Theorem konditionierter Koproduktion. Vgl. dazu noch einmal Fuchs, Die Metapher des Systems, a.a.O. |